Gesetzestext
Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter.
A. Rechtsnatur von Gesellschafterbeschlüssen.
Rn 1
Gesellschafterbeschlüsse sind mehrseitige Rechtsgeschäfte aus einer Vielzahl empfangsbedürftiger Willenserklärungen durch Stimmabgabe. Die Stimmabgabe ist gestaffelt möglich, mit der letzten Stimmabgabe ist der Beschl gefasst (Köln NZG 98, 767, 768). Die Willenserklärungen zur Stimmabgabe haben rechtsgeschäftlichen Charakter, auch wenn sie nicht auf Änderung des Gesellschaftsvertrages, sondern – wie meist – nur auf die interne Willensbildung zielen. Aus dem rechtsgeschäftlichen Charakter der Willenserklärungen folgt, dass die allg Vorschriften des Schuldrechts (§§ 104 ff) auf Gesellschafterbeschlüsse anwendbar sind. Auf die Vertretung von Gesellschaftern bei der Stimmabgabe ist § 181 anwendbar (BGHZ 112, 339, 340 ff; s § 181 Rn 8).
B. Arten von Beschlussgegenständen.
Rn 2
Beschlussgegenstände betreffen insb folgende Fallgruppen: (1) Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen; (2) Grundlagengeschäfte, insb Änderungen des Gesellschaftsvertrags; (3) Entscheidungen über die interne Organisation und Willensbildung, wie zB Bilanzfeststellung, Gewinnverwendung und Entlastung; (4) weitere durch Gesellschaftsvertrag bestimmte Maßnahmen, wie zB Wahl eines Beirats.
C. Stimmrecht.
Rn 3
Das Stimmrecht folgt aus der Mitgliedschaft und ist in der Inhaberschaft untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden (Abspaltungsverbot, § 711a). Zulässig bleibt die Stimmrechtsvollmacht an Mitgesellschafter oder bei Zustimmung der Mitgesellschafter (im Gesellschaftsvertrag oder im Einzelfall, ausdrücklich oder konkludent) oder bei Verhinderung aus wichtigem Grund auch an Dritte (BGH NJW 70, 706). Ein sachverständiger und der Verschwiegenheitspflicht unterliegender Berater darf nur, aber immerhin ausnw beigezogen werden (LG Köln BB 75, 342; Saenger NJW 92, 348). Durch Gesellschaftsvertrag oder Vereinbarung innerhalb einer Gesellschaftergruppe kann die Poolung der Stimmabgaben einer Gruppe, die dann nur einheitlich abstimmen kann, vorgesehen werden. Die Entscheidung darüber kann durch Mehrheitsentscheid innerhalb der Gruppe fallen (Ddorf NJW-RR 95, 171 [OLG Düsseldorf 06.07.1994 - 17 W 44/94]). Die Stimmbindung ist grds zulässig, aber entgegen der Rspr (BGH NJW 87, 1890, 1892 [BGH 27.10.1986 - II ZR 240/85]; 83, 1910f [BGH 20.01.1983 - II ZR 243/81]) wegen des Abspaltungsverbots nicht Dritten ggü, es sei denn, sie steht im Zusammenhang mit einer zulässigen Treuhand, Unterbeteiligung oder Nießbrauch (MüKo/Schäfer § 711a Rz 23 f mwN). Die Stimmbindung unter Gesellschaftern kann durch Leistungsklage (BGH NJW 67, 1963 [BGH 29.05.1967 - II ZR 105/66]) durchgesetzt und – praktisch selten – durch auf bestimmte Stimmabgabe gerichtete einstweilige Verfügung (Stuttg NJW 87, 2449 [OLG Stuttgart 20.02.1987 - 2 U 202/86]; Hambg NJW 92, 186, 187 [OLG Hamburg 28.06.1991 - 11 U 65/91]) gesichert werden.
D. Stimmverbote.
Rn 4
Ein Stimmverbot besteht, soweit es durch Gesetz (vgl §§ 715 V 1, 720 IV, 727 1) oder den Gesellschaftsvertrag angeordnet ist. Eine gesellschaftsvertragliche Regelung kann aber nicht den Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaft des betroffenen Gesellschafters sanktionieren, da hierfür stets die Zustimmung des Betroffenen erforderlich ist (BGH NJW 85, 974 [BGH 05.11.1984 - II ZR 111/84]). Daneben besteht in entspr Anwendung gesetzlicher Regelungen im Verbandsrecht (s §§ 34, 47 IV GmbHG, § 136 I AktG) ein Stimmverbot wegen Interessenkollision bei Beschlüssen über die Entlastung oder die Befreiung von einer Verbindlichkeit des betroffenen Gesellschafters oder die Einleitung oder Vorbereitung eines Rechtsstreits gegen ihn (allgM, vgl BGH DStR 12, 1093 Rz 16; NZG 23, 564 [BGH 17.01.2023 - II ZR 76/21]; Borries NZG 23, 558) bzw den beherrschenden Gesellschafter des betroffenen Gesellschafters (BGH DStR 12, 1093 [BGH 07.02.2012 - II ZR 230/09] Rz 18). Gleiches gilt, wenn ein Anspruch gegen einen Mitgesellschafter (-geschäftsführer) wegen gleichgelagerten Verhaltens geltend gemacht wird (BGH aaO Rz 19), und auch bei Beschlüssen über Rechtsgeschäfte mit einem Gesellschafter (MüKo/Schäfer § 714 Rz 29 mwN). Kein Stimmverbot besteht bei Wahlen oder anderen Beschlüssen, die die innere Organisation betreffen. Bei Stimmverbot ist eine gleichwohl abgegebene Stimme nicht zu berücksichtigen.
E. Mehrheitsbeschlüsse.
I. Formelle Legitimation.
Rn 5
§ 714 behält auch nach der Reform durch das MoPeG das Einstimmigkeitsprinzip grds bei (wie vormals §§ 709, 710 aF), freilich – wie früher auch – dispositiv (§ 708). Das Einstimmigkeitsprinzip gilt daher, wenn im Gesellschaftsvertrag weder ausdrücklich noch konkludent etwa Abweichendes vereinbart ist. Eine Stimmenthaltung hat hier die Wirkung einer Ablehnung. Der Gesellschaftsvertrag kann abw vom gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzip bestimmen, dass Entscheidungen der Gesellschafter durch Mehrheitsbeschluss getroffen werden. Für welche Entscheidungen das Mehrheitsprinzip gilt, ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach den allgemeinen Auslegungsregeln gem §§ 133, 157 – bei Publikumsgesellschaften nur durch objektive Auslegung ...