Prof. Dr. Eckart Brödermann
Gesetzestext
(1) 1Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. 2Stirbt der Hauptschuldner, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet.
(2) Der Bürge verliert eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet.
A. Einführung: Normzweck und praktische Bedeutung.
Rn 1
Die Vorschrift ist eine weitere Ausprägung des Akzessorietätsprinzips (Vor § 765 Rn 10): Dem Bürgen sollen ggü dem Gläubiger alle rechtlichen Verteidigungsmittel des Hauptschuldners zustehen (Mot II 661; RGZ 34, 153, 156f). Dieser Grundsatz wird durch die Regelungen in § 768 I 2 u § 768 II (der funktional § 767 I 3 entspricht) eingeschränkt. Als Verteidigungsmittel steht § 768 dem Bürgen nur solange zur Verfügung wie die Hauptforderung besteht: Geht sie unter, greift § 767 (s § 767 Rn 3 ff).
Rn 2
Die Pflicht des Bürgen zur Erhebung von Einreden des Hauptschuldners ggü dem Gläubiger wird bestimmt durch das Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürge (vgl § 765 Rn 7). Macht der Bürge vertrags- und/oder treuwidrig dem Hauptschuldner zustehende Einreden ggü dem Gläubiger nicht geltend, so kann sich dies auf seinen Regressanspruch auswirken (§§ 774 I 3, 670; RGZ 59, 207, 209; 146, 67, 71). Hat der Hauptschuldner auf eine Einrede verzichtet (Rn 14), ist auch der Bürge berechtigt, aber nicht verpflichtet, auf sie zu verzichten.
Rn 3
Die Regelungen in § 768 sind begrenzt dispositiv: In der Praxis werden die Rechte des Bürgen aus § 768 oft – insb bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern (s § 765 Rn 75 ff) – im Bürgschaftsvertrag abbedungen. Dies ist individualvertraglich bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs zulässig (BGH NJW 80, 445, 446 [BGH 25.10.1979 - III ZR 182/77]).
Rn 4
Eine Formularklausel, die dem Bürgen den Schutz des § 768 umfassend nimmt, ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar. Sie schränkt die Rechte des Bürgen unangemessen ein und ist daher nach § 307 II 1 unwirksam (BGHZ 95, 350, 356 f; 147, 99, 104; NJW 01, 2327, 2329; 03, 59, 61; st Rspr s zB Münch BeckRS 18, 39749 Rn 11). Die Verpflichtung des Hauptschuldners zur Sicherungsbestellung bleibt in diesem Fall bestehen, wenn sie keine konzeptionelle Einheit mit der unwirksamen AGB bildet (BGHZ 179, 374, 381; s zB Dresd BeckRS 14, 14797; Übersicht bei Mayr BauR 14, 621).
B. Einreden iSd § 768 I 1.
Rn 5
§ 768 betrifft die Durchsetzung der Forderung durch den Gläubiger gegen den Bürgen. Unter den Begriff der Einreden iSd § 768 I 1 fallen daher nicht nur solche im traditionellen prozessualen Sinne, sondern sämtliche Einreden des Hauptschuldners (BGHZ 107, 210, 214), also sämtliche dem Hauptschuldner ggü der Hauptforderung zustehenden dilatorischen (vorübergehenden) und alle peremptorischen (dauernden) Einwendungen. Dabei bindet den Bürgen kein Titel des Gläubigers gegen den Hauptschuldner (s Vor § 765 Rn 41 für Urt; BGH WM 04, 1648, 1651 für bestandskräftigen Steuerbescheid).
I. Grundfälle.
Rn 6
Zu den Einreden iSd § 768 I 1 gehört insb die Verjährung der Hauptforderung (s zB BGH BB 07, 2591 [BGH 18.09.2007 - XI ZR 447/06]; Ausnahmen: (1.) uU bei Gewährleistungsbürgschaften, s § 765 Rn 85, u (2.) bei atypischer Vertragsgestaltung: BGH NJW 01, 2327, 2329f [BGH 05.04.2001 - IX ZR 276/98]). Der Bürge kann sich nach der Rspr auch dann auf die Verjährung berufen, wenn diese erst nach Erhebung der Bürgschaftsklage eintritt und der Bürge nach § 773 I Nr 1 selbstschuldnerisch haftet (so BGHZ 76, 222, 226: dem Gläubiger ist zuzumuten, erforderlichenfalls zwei Klagen zu erheben; 139, 214, 216 f; kritisch zB Schmolke WM 13, 148 ff mwN). Dies gilt auch, wenn die Hauptschuldnerin zuvor durch Vermögensverfall untergegangen – dazu § 767 Rn 10 – ist (BGHZ 153, 337, 339 ff; krit Peters NJW 04, 1430f). Tritt die Verjährung erst nach rechtskräftiger Verurteilung des Bürgen ein, kann dieser eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben (BGH NJW 99, 278, 279 [BGH 05.11.1998 - IX ZR 48/98]). In diesen Fällen muss der Gläubiger ggü dem Hauptschuldner eine die Verjährung unterbrechende Maßnahme iSd § 204 I ergreifen. Weder § 216 I noch § 215 gelten entspr.
Rn 7
Außerdem gehören zu den Einreden iSd § 768: die noch ausstehende Fälligkeit (Staud/Stürner § 768 Rz 15); die Nichterfüllung des Hauptvertrages nach § 320 (Staud/Stürner § 768 Rz 10); das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 (BGHZ 24, 97, 99; WM 65, 578, 579); der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 I (Grüneberg/Sprau § 768 Rz 6); die Stundung (RGZ 153, 123, 125; BGH NJW 01, 2327, 2329); der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (Köln ZIP 98, 150, 151; LG Hamburg BeckRS 16, 15295); die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung (BGHZ 107, 210, 214; ZIP 01, 833, 835 f; aA LG München I ZIP 09, 1902); die Einrede der unerlaubten Handlung nach § 853 (wobei dem Bürgen diese Einrede auch zusteht, wenn der Hauptschuldner die Anfechtungsfrist des § 124 versäumt hat, BGHZ 95, 350, 357); der Einwand der Vertragsanpassung aus § 311 II, III (BGH NJW 99, 2032: zu cic); sowie der auf dem Recht des Mieters aus § 551 I gegründete Einwand ...