Prof. Dr. Petra Buck-Heeb
Gesetzestext
(1) 1Wird eine Urkunde, in welcher der Gläubiger benannt ist, mit der Bestimmung ausgegeben, dass die in der Urkunde versprochene Leistung an jeden Inhaber bewirkt werden kann, so wird der Schuldner durch die Leistung an den Inhaber der Urkunde befreit. 2Der Inhaber ist nicht berechtigt, die Leistung zu verlangen.
(2) 1Der Schuldner ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zur Leistung verpflichtet. 2Ist die Urkunde abhandengekommen oder vernichtet, so kann sie, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, im Wege des Aufgebotsverfahrens für kraftlos erklärt werden. 3Die in § 802 für die Verjährung gegebenen Vorschriften finden Anwendung.
A. Qualifizierte Legitimationspapiere.
I. Begriff.
Rn 1
Namenspapiere mit Inhaberklausel (auch als qualifizierte Legitimationspapiere oder hinkende Inhaberpapiere bezeichnet) sind auf einen konkreten Berechtigten ausgestellte Leistungsversprechen. Eine ausdrückliche namentliche Benennung ist nicht erforderlich. Ausreichend soll sein, dass der Berechtigte durch Auslegung des Urkundstextes bestimmbar ist (MüKo/Habersack Rz 8; Staud/Marburger Rz 5). Allerdings kann der Aussteller seine Leistung an jeden Inhaber der Urkunde mit befreiender Wirkung erbringen (Legitimationswirkung). Der Inhaber besitzt jedoch kein Forderungsrecht hinsichtlich der verbrieften Leistung (eingeschränkte Inhaberklausel). Allein der Gläubiger der Leistung kann diese verlangen, nachdem er ggf seine Gläubigerstellung bewiesen hat. Der Unterschied zwischen Namenspapieren mit Inhaberklausel und einfachen Legitimationspapieren besteht darin, dass ersteren Wertpapiercharakter zukommt (BeckOGKBGB/Vogel Rz 4). Von den Inhaberpapieren des § 793 unterscheiden sich die Namenspapiere mit Inhaberklausel durch die Individualisierung des Berechtigten, denn sie lauten regelmäßig auf den Namen eines bestimmten Berechtigten. Außerdem besteht für den Aussteller durch die Vorlage der Urkunde keine Verpflichtung, sondern lediglich eine Berechtigung, an den Inhaber zu leisten. Das Forderungsrecht entsteht nicht durch die Verbriefung des Versprechens, sondern die Pflicht zur Leistung ergibt sich aus dem allg schuldrechtlichen Verhältnis, so dass der Urkunde insoweit lediglich deklaratorischer Charakter zukommt.
II. Beispiele.
Rn 2
Zu den Namenspapieren mit Inhaberklausel zählen Sparbücher (BGHZ 28, 368, 370; WM 98, 1623; s Rn 7 ff), Leihhausscheine (BGH NJW 77, 1352 [BGH 29.03.1977 - 1 StR 646/76]), Versicherungsscheine (BGH NJW-RR 99, 898 [BGH 24.02.1999 - IV ZR 122/98]; NJW 00, 2103 [BGH 22.03.2000 - IV ZR 23/99]; NJW-RR 07, 1175 [KG Berlin 23.03.2007 - 6 U 3/07]; 09, 1327 [BGH 20.05.2009 - IV ZR 16/08]; 10, 904 [BGH 10.03.2010 - IV ZR 207/08]), auf den Inhaber ausgestellte Seetransportversicherungspolicen (BGH NJW 62, 1436f [BGH 24.05.1962 - II ZR 199/60]), auf den Namen des Berechtigten ausgestellte Fahr- oder Flugscheine (BGH NJW 74, 852, 853 [BGH 21.12.1973 - IV ZR 158/72]), personalisierte Eintrittskarten (AG Syke NJW 03, 1054 [AG Syke 19.02.2003 - 9 C 1683/02]: Gutschein für Ballonfahrt; Ensthaler/Zech NJW 05, 3389, 3390 [OLG Hamburg 03.02.2005 - 5 U 65/04]: Fußball-WM) und Hinterlegungs- oder Depotscheine der Banken (RGZ 118, 34, 38). Nicht zu den Namenspapieren mit Inhaberklausel zählen ec-Karten (vgl BGHSt 35, 152), Kreditkarten (BGHZ 114, 238, 242), Spar(kassen)briefe (Namensschuldverschreibung) und Sparkassenobligationen (Orderschuldverschreibung).
B. Rechtsfolgen.
I. Übertragung.
Rn 3
Der verbriefte Anspruch wird, da kein Inhaberpapier vorliegt, nicht nach sachenrechtlichen Normen übertragen und verpfändet, sondern durch Abtretung (§§ 398 ff, 1280). Damit scheidet ein gutgläubiger Erwerb der Forderung aus. Allenfalls durch § 405 besteht ein begrenzter Schutz, wonach die Einwendung des Scheingeschäfts iSd § 117 sowie diejenige der Unabtretbarkeit der Forderung nach § 399 ausgeschlossen werden (Staud/Marburger Rz 19). Das Eigentum am Papier folgt, umgekehrt wie bei Inhaberpapieren, kraft Gesetzes nach § 952 dem Gläubigerrecht an der Forderung. Da das Eigentum an der Urkunde kraft Gesetzes auf den Zessionar übergeht, ist eine Übergabe der Urkunde nicht erforderlich. Allerdings kann die Übergabe der Urkunde Anscheinsbeweis für die Abtretung sein (Staud/Marburger Rz 17). Auch die Urkunde kann wegen § 952 nicht gutgläubig erworben werden. § 1006 (Eigentumsvermutung) findet hier keine Anwendung (Grüneberg/Sprau Rz 2 mN). § 407 ist auf die qualifizierten Legitimationspapiere nicht anwendbar (Ddorf NJW-RR 91, 1337 [OLG Düsseldorf 27.06.1991 - 6 U 275/90]).
II. Leistungsbefreiung.
Rn 4
Nach § 808 I tritt eine Leistungsbefreiung durch Leistung an den Urkundeninhaber ein, wenn die Leistung dem verbrieften Versprechen entspr erfolgt (Liberationswirkung, s BGHZ 28, 368, 373). Da diese Regelung dispositiv ist, sind Vereinbarungen wie zB Orderklauseln oder Zahlungssperren möglich, die diese Wirkung beschränken (Staud/Marburger Rz 8). Der Aussteller braucht weder eine Prüfung der materiellen Berechtigung des Inhabers, über das verbriefte Recht zu verfügen, noch der Berechtigung, die für die Entgegennahme der Leistung erforderlichen Handlungen vorzunehmen, durch...