Rn 139
Die Räum- und Streupflicht ist ein Unterfall der allg Straßenverkehrssicherungspflicht. Sicherungspflichtig ist grds derjenige, dem die allg Straßenverkehrssicherungspflicht obliegt, das sind in erster Linie die Kommunen, denen die Räum- und Streupflicht durch öffentlich-rechtliche Normen zugewiesen wird (diese stellen idR Schutzgesetze iSd § 823 II dar, BGHZ 27, 278, 283; NJW 70, 95; 72, 1321, 1322). Bei Verletzung dieser öffentlich-rechtlichen Pflichten haften die Gemeinden ausschließlich nach § 839 (BGHZ 27, 278, 282; VersR 95, 721, 722); die inhaltlichen Anforderungen decken sich aber mit denjenigen der zivilrechtlichen Haftung (BGHZ 75, 134, 138; NJW 93, 2802f). Häufig und zulässig ist die Abwälzung der allg Reinigungspflicht und damit auch der Räum- und Streupflicht auf die Anlieger (BGH NJW 85, 484; 08, 1440 Rz 9; zu Grenzen insb BGHZ 118, 368, 372 f; BayVGH BayVBl 77, 369, 370). Eine weitere (Sub-)Delegation ist möglich, zB auf ein Reinigungsunternehmen oder einen Mieter (zB BGH NJW-RR 89, 394, 395 [BGH 17.01.1989 - VI ZR 186/88]; 96, 655, 656; NJW 08, 1440 [BGH 22.01.2008 - VI ZR 126/07] Rz 9 mwN; Karlsr NZM 21, 151, 151 f [OLG Karlsruhe 07.12.2020 - 9 U 34/19]; Hamm BeckRS 21, 9622; Hitpaß/Kappus NJW 13, 565, 569 ff); dafür gelten die allg Grundsätze zur Delegation von Verkehrspflichten (s.o. Rn 126 f), dh den Delegierenden treffen Auswahl- und Überwachungspflichten (zB Frankf BeckRS 17, 144537; Hamm BeckRS 21, 9622; Grenzen: KarlsR NZM 21, 151, 152). Im Einzelfall kann sicherungspflichtig auch sein, wer eine besondere Gefahr verursacht (zB BGH VersR 85, 641, 642: Sicherungspflicht des Kühlturmbetreibers wegen Glatteisbildung durch Kondenswasser).
Rn 140
Der Umfang der Räum- und Streupflicht (dazu allg Hitpaß/Kappus NJW 13, 565 ff mwN; Mergner/Matz NJW 14, 186, 189 ff; Rebler MDR 19, 327 ff; Horst NZM 20, 569 ff) richtet sich nach den Verkehrserwartungen (BGH NJW 94, 2617) und den Umständen des Einzelfalls (BGH NJW 03, 3622, 3623; 12, 2727 Rz 10), aber die Verkehrsteilnehmer müssen sich auch in vernünftiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellen (zB Ddorf NJW-RR 99, 671, 672; Hamm VersR 99, 589; Naumbg BeckRS 22, 22572), insb sich winterlichen Straßenverhältnissen anpassen (BGHZ 112, 74, 76; VersR 18, 756 Rz 27 mwN). Entstehung, Umfang und Maß der Streupflicht richten sich – in Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze für die Entstehung von Verkehrspflichten – danach, was zur gefahrlosen Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, dem die jeweilige Verkehrseinrichtung dient, und was dem Pflichtigen zumutbar ist (BGH VersR 19, 1313 Rz 12 mwN; Hamm 11 U 32/22 zur Eignung von Streumitteln; Celle 14 U 105/23). Die Räum- und Streupflicht entsteht bei allgemeiner Glättebildung, nicht bereits bei Vorhandensein einzelner Glättestellen (BGH VersR 82, 299, 300; NJW 09, 3302 Rz 4 f; 12, 2727 Rz 10; NZM 17, 492 Rz 7; VersR 19, 1313 Rz 10; Grenzen: Hamm BeckRS 21, 2529 mwN), aber ggf auch bei ernsthafter lokaler Glättegefahr (KG MDR 23, 298 [KG Berlin 06.12.2022 - 21 U 56/22]). Fahrbahnen sind innerhalb geschlossener Ortschaften nur an verkehrswichtigen und zugleich gefährlichen Stellen zu räumen und zu streuen (BGHZ 112, 74, 79; Beurteilung durch den Tatrichter, BGH VersR 98, 1373, 1374; NJW 12, 2727 Rz 10; Hamm 11 U 120/22), außerhalb geschlossener Ortschaften nur an besonders gefährlichen Stellen mit erheblicher Verkehrsbedeutung (zB BGHZ 31, 73, 75; VersR 95, 721, 722; Braunschw NZV 06, 586, 587; Hamm NZV 16, 527). Radwege sind jedenfalls nicht in höherem Maße als Fahrbahnen zu sichern (BGH NJW 03, 3622, 3623; relativ weitgehend aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse Hamm MDR 14, 1255, 1256 [BGH 10.09.2014 - IV ZR 379/13]; zurückhaltender Bremen NZM 18, 886, 887 [OLG Bremen 13.04.2018 - 1 U 4/18]). An die Sicherungspflichten bei Fußgängerüberwegen werden bei belebten, unentbehrlichen Übergängen strenge Anforderungen gestellt (BGH VersR 87, 989; NJW 03, 3622, 3623), ähnl bei Kreuzungen (Nürnbg NJW-RR 04, 103). Vergleichbar weit gehen die Pflichten bei öffentlichen Plätzen, insb Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel (Bambg MDR 14, 344; Hamm NJW-RR 21, 741, 743 f [OLG Hamm 15.01.2021 - 11 U 57/20] zum Bahnhofsbereich; va sind durch das Räumen entstandene Schneewälle zu entfernen, BGH NJW 83, 2021, 2022 [BGH 10.03.1983 - III ZR 1/82]; 93, 2802, 2803 [BGH 01.07.1993 - III ZR 88/92]; nicht erforderlich ist hingegen das Räumen und Abstreuen einer von Fußgängern gerne gewählten Abkürzung, die kein markierter Fußgängerüberweg ist, Jena BeckRS 12, 26081). Die Räum- und Streupflicht auf Gehwegen ist von deren Bedeutung abhängig (BGH NJW 60, 41 einerseits, Hamm VersR 93, 1285, 1286; BeckRS 21, 9622 andererseits); generell genügt es, wenn Raum für zwei sich begegnende Fußgänger (1–1,2m) geschaffen wird (BGH VersR 67, 981, 982; 18, 756 Rz 28 mwN), ein Ausweichen auf die Fahrbahn ist hingegen nicht zumutbar (BGH NJW-RR 97, 1109, 1110 [BGH 06.05.1997 - VI ZR 90/96]). Auch die Erreichbarkeit eines Briefkastens a...