Rn 3
Tatsachen als Gegenstand der haftungsbegründenden Handlung sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar oder einer Überprüfung ihrer Richtigkeit durch Beweis zugänglich sind (BVerfG NJW 96, 1529 f mwN; BGHZ 132, 13, 21 mwN; 139, 95, 102). Sie sind abzugrenzen von Werturteilen, bei denen die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage, die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens im Vordergrund stehen und die sich nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (zB BGH NJW 92, 1439, 1440; BGHZ 139, 95, 102; NJW 99, 483, 484; BGHZ 166, 84 Rz 63 mwN; NJW 11, 2204 Rz 9 f; MDR 15, 150 Rz 8; WM 15, 1664 Rz 24). Diese für § 824 zentrale Abgrenzung ist praktisch häufig schwierig, va weil das für Tatsachen meist als charakteristisch angesehene Kriterium der Beweisbarkeit letztlich auf einem Zirkelschluss beruht, da Beweisbarkeit das Vorliegen einer Tatsache voraussetzt (Larenz/Canaris § 79 I 2a). Bei der Abgrenzung sind insb die Verkehrsauffassung (s dazu nur BGHZ 139, 95, 102; NJW 04, 598; BeckOGK/Spindler § 824 Rz 8; NK-BGB/Katzenmeier § 824 Rz 9, beide mwN) sowie der verfassungsrechtliche Hintergrund des § 824 zu berücksichtigen. Da die Verkehrsauffassung für sich genommen häufig noch nicht hinreichend aussagekräftig ist, kommt den Grundrechten der Beteiligten besondere Bedeutung zu. Abzuwägen sind die Grundrechte des Äußernden (in erster Linie Art 5 I GG, ggf auch Art 5 III GG) einerseits und der Schutz der Persönlichkeit des durch die Äußerung Betroffenen (Art 1 I, 2 I GG) andererseits.
Rn 4
Vor allem der Meinungsfreiheit des Äußernden kommt bei der Grundrechtsprüfung regelmäßig ein hoher Stellenwert zu. Sie umfasst grds alle Aussagen außer bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen bzw Behauptungen, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht (s nur BVerfG NJW 83, 1415; NJW-RR 01, 411 [BVerfG 09.10.2000 - 1 BvR 1839/95] mwN); in den genannten Ausnahmefällen überwiegt idR der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Das BVerfG hat betont, dass die zivilrechtliche Haftung nicht den freien Kommunikationsprozess einschnüren darf (BVerfG NJW 99, 1322, 1324 [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]; NJW-RR 00, 1209, 1210), was in Zweifelsfällen für die Annahme eines nicht unter § 824 fallenden Werturteils sprechen dürfte (s insb BVerfG NJW 83, 1415; 97, 2513, 2514 mwN; BGHZ 139, 95, 102; BeckOGK/Spindler § 824 Rz 12; Erman/Wilhelmi § 824 Rz 2). Aus der Wissenschaftsfreiheit leitet die Rspr ab, dass wissenschaftliche Äußerungen, Sachverständigengutachten und ärztliche Diagnosen idR nicht als von § 824 erfasste Tatsachenbehauptungen anzusehen sind (zB BGH NJW 78, 751 f; 89, 774, 775; 99, 2736 f; LG Köln Kunst & Recht 13, 105, 106f). In der Lit wird dies mitunter kritisiert, weil solche Thesen nachprüfbar sind (zB BeckOGK/Spindler § 824 Rz 19.1; Erman/Wilhelmi § 824 Rz 3); teilw wird auf Art 5 III GG ein allgemeines (nicht auf § 824 begrenztes) Wissenschaftsprivileg gestützt (zB Larenz/Canaris § 88 I 3b; Staud/J Hager § 823 Rz C 82) oder unter Rückgriff auf Art 5 III GG die Rechtswidrigkeit abgelehnt (BeckOGK/Spindler § 824 Rz 19.1; Loritz BB 00, 2006, 2010). Im Ergebnis besteht daher weitgehend Einigkeit darüber, dass wissenschaftliche Äußerungen idR nicht von § 824 erfasst werden. Der Schutz des Art 5 I, III GG greift selbst dann, wenn aufgrund irriger oder unsorgfältiger Vorgehensweise von falschen Prämissen ausgegangen wurde; eine Ausnahme gilt für Sachverständigengutachten, wenn Sachverständigenkenntnisse vorgetäuscht wurden oder die Begutachtung grob fahrlässig falsch durchgeführt wurde (zB BGH NJW 78, 751, 752 [BGH 18.10.1977 - VI ZR 171/76]; 89, 774 f [BGH 03.05.1988 - VI ZR 276/87]; 2941, 2942 [BGH 11.04.1989 - VI ZR 293/88]; 99, 2736f [BGH 23.02.1999 - VI ZR 140/98]).
Rn 5
Bei sog gemischten Äußerungen mit Tatsachen- und Werturteilselementen stellt die Rspr auf ihren Schwerpunkt ab (zB BVerfG NJW 83, 1415, 1416 [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79]; NJW-RR 01, 411 [BVerfG 09.10.2000 - 1 BvR 1839/95]; BeckRS 16, 50714; BGH NJW 55, 311 – zum Strafrecht; 89, 1923; 02, 1192, 1193 mwN; BGHZ 166, 84 Rz 63 ff; MDR 15, 150 Rz 8 ff, krit Kreße NJ 15, 166 f, zust Jahn EWiR 15, 109; Dresd GRUR-Prax 22, 615). Die Lit fragt hingegen teilw nach dem Grund der Fehlerhaftigkeit der Äußerung (zB Larenz/Canaris § 79 I 2b; NK-BGB/Katzenmeier § 824 Rz 8), mitunter wird zusätzlich ein Trennbarkeitserfordernis postuliert (zB Staud/J Hager § 823 Rz C 80; NK-BGB/Katzenmeier § 824 Rz 8; vgl auch Soergel/Beater § 824 Rz 18).
Rn 6
Tatsachen können nach der Rspr zB sein: verdeckte Aussagen, mit denen ein Verdacht, eine Vermutung oder eine für möglich gehaltene Entwicklung verbreitet wird (zB BGHZ 78, 9, 14 ff; NJW 04, 598, 599 mwN; BVerfG NJW 04, 1942, 1943; BeckOGK/Spindler § 824 Rz 9 mwN), Gerüchte (BGH NJW 51, 352) oder rhetorische Fragen (BVerfG NJW 92, 1442, 1443 f; BGH NJW 04, 1034f). Hingegen sind nach der Rspr als Werturteile ...