Rn 5
Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren haften bei Vorliegen von Verschuldensfähigkeit (§ 828 III, II) und Verschulden (§ 276).
1. Grundregel.
Rn 6
Gemäß § 828 III ist für die Verschuldensfähigkeit die intellektuelle Einsichtsfähigkeit entscheidend: Verschuldensfähig ist, wer in der Lage ist, seine Verantwortlichkeit als Folge der Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen (zB RGZ 53, 157, 159; BGH NJW 70, 1038; BGHZ 161, 180, 187; NJW-RR 05, 327, 328; Nürnbg VersR 06, 1128 f; Brandbg BeckRS 10, 5266; Hamm MMR 16, 547; NZV 17, 335; Celle NJW-RR 20, 407; NJW 21, 2124, 2125 f [OLG Celle 19.05.2021 - 14 U 129/20]; recht weitgehend Naumbg NZV 13, 244, 245 f: ausschließliche Verantwortlichkeit einer Elfjährigen, die im Dunkeln zwischen parkenden Fahrzeugen auf die Fahrbahn läuft; krit zur vollständigen Haftung oberhalb der Schwelle des § 828 II auch C Huber NZV 13, 6, 8 f; Lang NZV 13, 161, 164 ff). Erkennbarkeit konkreter tatsächlicher oder gar rechtlicher Folgen ist nicht erforderlich (st Rspr, vgl nur RGZ 53, 157, 159; BGH NJW 79, 864, 865 [BGH 14.11.1978 - VI ZR 133/77]; LG Bielefeld NJW-RR 07, 610, 611 [LG Bielefeld 18.10.2006 - 21 S 166/06]). Aus der Einsichtsfähigkeit in Bezug auf das Unrecht des Tuns wird idR Einsichtsfähigkeit auch im Hinblick auf die Verantwortlichkeit abgeleitet (s insb BGH VersR 57, 415 f; 70, 374 f; ähnl BGH NJW 05, 354, 355; NJW-RR 05, 327, 328), die Einsichtsfähigkeit wird widerlegbar vermutet (Schlesw BeckRS 19, 21919). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, insb Alter und geistige Entwicklung des Handelnden (BGH VersR 53, 28, 29; NJW 84, 1958f [BGH 28.02.1984 - VI ZR 132/82]); dagegen kommt es auf die Fähigkeit, auch nach der vorhandenen Einsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit) erst für das Verschulden an (s.u. Rn 8). § 828 III enthält keine starre Regel, insb keine festen, altersabhängigen Fallgruppen (zu aktuellen Einzelfällen aus der Rspr zur Teilnahme Minderjähriger am Straßenverkehr Kreuter-Lange SVR 16, 167, 168 f; Celle NJW 21, 2124, 2125 f [OLG Celle 19.05.2021 - 14 U 129/20]; zur Haftung Minderjähriger wegen rechtswidriger Nutzung von Tauschbörsen Schaub GRUR 13, 515 [BGH 15.11.2012 - I ZR 74/12]; Kochanowski/Bockslaff K&R 16, 657, 658 ff; LG Frankfurt aM GRUR-RS 20, 30501). Auf intelligente Agenten ist die Regelung nicht anwendbar, da sie sich sowohl vom Wortlaut als auch von den Voraussetzungen her auf Menschen bezieht (s.a. Theis Der Einsatz automatischer und intelligenter Agenten im Finanzdienstleistungsbereich 21, 249f).
2. Sonderregelung.
Rn 7
Gem § 828 II sind Kinder zwischen 7 und 10 Jahren nicht verantwortlich für Schäden im Zusammenhang mit einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn (S 1), sofern sie die Verletzung nicht vorsätzlich herbeigeführt haben (S 2). Die Schwelle für die Verschuldensfähigkeit wird heraufgesetzt, weil Kinder dieses Alters regelmäßig überfordert sein dürften, Gefahrensituationen im motorisierten Verkehr richtig einzuschätzen, insb aufgrund unzutreffender Beurteilung von Geschwindigkeit und Entfernung solcher Fahrzeuge (BTDrs 14/7752, 26 f; Bollweg NZV 00, 185, 186; G Müller VersR 03, 1, 7; auch schon Schlesw NJW-RR 03, 459, 460; zur Kritik insb BeckOK/Spindler § 828 Rz 4 mwN). Der Schwerpunkt der Anwendung des Abs 2 dürfte iRd § 254 sowie der §§ 4 HPflG, 9 StVG liegen (vgl insb Erman/Wilhelmi § 828 Rz 2a). Unfall ist – ähnl wie bei § 7 StVG – ein plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmtes, auf einer äußeren Einwirkung beruhendes Ereignis, bei dem ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird (Kilian ZGS 03, 168, 169 mwN). Anders als bei § 7 StVG, der auch Unfälle im ruhenden Verkehr erfassen kann (BGHZ 29, 163, 169; Bambg VersR 67, 562), kommt es bei § 828 II auf das spezifische Gefahrenpotential des motorisierten Verkehrs an, das sich im ruhenden Verkehr gerade nicht verwirklicht. Daher greift die Vorschrift infolge teleologischer Reduktion nicht ein bei Beschädigung eines parkenden Fahrzeugs durch spielende Kinder (insb BGHZ 161, 180, 183 ff; NJW 05, 356; NJW-RR 05, 327f), wohl aber wenn ein Kind mit dem Fahrrad auf einen verkehrsbedingt vorübergehend anhaltenden PKW auffährt (BGH NJW 07, 2113 [BGH 17.04.2007 - VI ZR 109/06] Rz 10f) oder sein Fahrrad rollen lässt und dieses mit einem vorbeifahrenden PKW kollidiert (BGH NJW 08, 147 Rz 7 ff; krit Bernau DAR 08, 78f). Der BGH legt die Regelung noch weiter aus und wendet sie auch im ruhenden Verkehr an, wenn sich in diesem ›eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklich[t]‹ (BGHZ 181, 368 Rz 7), was er zB annimmt, wenn ein Kind mit dem Fahrrad gegen die geöffnete Tür eines am Fahrbahnrand stehenden Fahrzeugs (VersR 08, 701 Rz 6) oder gegen ein nicht ordnungsgemäß geparktes Auto (BGHZ 181, 368 Rz 12f) fährt (krit zu Recht Oechsler NJW 09, 3185, 3186 ff). Bei einer so weiten Auslegung müsste gefragt werden, ob § 828 II auch auf Kinder anzuwenden ist, die im Gleiskörper von Schienenbahnen spielen...