Rn 40
Nach I 2 haften der Beamte und damit der Staat nur subsidiär, wenn die Amtspflichtverletzung nur fahrlässig erfolgte. Der Begriff der anderweitigen Ersatzmöglichkeit wird weit verstanden. Hierfür kommen alle Möglichkeiten der Schadloshaltung tatsächlicher und rechtlicher Art in Betracht (BGH VersR 09, 551) Nach der Rspr des BGH entfallen diese Erfordernisse, wenn der Beamte wie jeder andere Teilnehmer am Rechts- und Geschäftsverkehr auftritt, etwa im Straßenverkehr ohne Wahrnehmung von Sonderrechten nach § 35 StVO (BGH NZV 91, 185) und bei der Wahrnehmung von Verkehrspflichten (BGHZ 123, 102), nicht jedoch bei der Verletzung der Verkehrsregelungspflicht (BGHZ 91, 48). Greift die Subsidiarität nicht, ist eine gesamtschuldnerische Haftung Mehrerer möglich (BGHZ 91, 48; Karlsr BauR 05, 768). Die Subsidiarität entfällt weiter bei Ansprüchen, welche neben die Amtshaftung treten wie Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff, Aufopferung, Verletzung beamtenrechtlicher Fürsorgepflichten sowie aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung, Treuhand und GoA (BGHZ 63, 167; Rn 3 ff, 10).
Rn 41
Anderweitige Ersatzmöglichkeiten können Ansprüche gegen den durch die Amtspflichtverletzung begünstigten Vertragspartner sein (BGH WM 05, 1328) oder Schadensersatzansprüche wegen unzureichender oder falscher anwaltlicher Beratung (BGH VersR 09, 551; evtl. nur fiktive Beratungskosten: BGH NJW 04, 69; vorgerichtliche Anwaltskosten: BGH VersR 08, 1223; zur Begrenzung des Schadens: VersR 04, 476; s.a. Rn 57). Ansprüche gegen die öffentliche Hand, die demselben Tatsachenkreis entspringen, sind keine anderweitige Ersatzmöglichkeit (BGH VersR 97, 109). Mehrere Stellen haften als Gesamtschuldner (BGHZ 152, 380 – Staat und Beschäftigungsstelle für Zivildienstleistende; WM 65, 1054 – Notar und Vormundschaftsrichter; s aber BGHZ 135, 354 zur Ausnahme: Notaraufsicht und vorsätzlich handelnder Notar). Eine solche Ersatzforderung muss wirtschaftlich zu verwirklichen sein; rein theoretische Möglichkeiten eines anderweitigen Ersatzes oder ungewisse künftige Erlöserwartungen stehen der Regressklage nicht entgegen (BGH NJW 96, 3011 [BGH 02.07.1996 - IX ZR 299/95]). Ansprüche des Geschädigten auf Sozial- und private Versicherungsleistungen stellen ebenso keine anderweitige Ersatzmöglichkeit dar (Lörler JuS 90, 546), wie sie einen sonstigen Schädiger entlasten (§ 249 Rn 86 ff). Der Schädiger kann nicht auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit verweisen, wenn der potenziell dem Geschädigten ggü Haftende einen Rückgriffsanspruch gegen den Schädiger hätte (BGH NJW-RR 04, 1704 für die Notarhaftung).
Rn 42
Auch eine früher gegebene anderweitige Ersatzmöglichkeit darf der Geschädigte nicht schuldhaft versäumt haben (BGH NJW-RR 05, 284). Sie muss aber vor Beginn des Amtshaftungsprozesses bekannt gewesen sein (BGHZ 120, 124). Der Abschluss eines Vergleichs kann vorwerfbar sein (BGH VersR 95, 1247).
Rn 43
Hat der Geschädigte schuldhaft eine frühere gegebene anderweitige Ersatzmöglichkeit versäumt, verliert er den Anspruch insgesamt. Auch bei nur leicht fahrlässiger Versäumnis findet der völlige Ausschluss und nicht lediglich eine Minderung des Anspruchs wie bei § 254 statt; § 839 I 2 wie auch § 19 I 2 BNotO decken sich nicht mit § 254 (BGH NJW 99, 2038 [BGH 25.02.1999 - IX ZR 240/98]).
Rn 44
Solange eine anderweitige Ersatzmöglichkeit ernsthaft in Betracht kommt, wird eine Klage als derzeit unbegründet abgewiesen (BGHZ 121, 65), wenn die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs erfüllt sind (BGH BauR 18, 133), hat der Geschädigte eine früher gegebene anderweitige Ersatzmöglichkeit versäumt, erfolgt volle Klageabweisung (BGH NJW 99, 2038). Maßgeblicher Zeitpunkt ist der der Erhebung der Klage (BGH VersR 08, 120). Richtet sich eine Klage gegen mehrere Schädiger, darf ein Teilurteil als derzeit unbegründet nicht ergehen (BGH MDR 19, 162 [BGH 15.11.2018 - III ZR 69/17]); möglich ist aber eine Prozesstrennung. Vorrangig sind Feststellungen zur grundsätzlichen Haftung zu treffen, bevor eine Klageabweisung als derzeit unbegründet erfolgt (BGH NJW 22, 2754 [BGH 09.06.2022 - III ZR 24/21], dort auch zur Rechtskraft eines solchen Urteils).
Rn 45
Keine Subsidiarität sondern Fälle des Ausschlusses liegen vor, wenn aufgrund von Sondervorschriften wie § 46 II BeamtVG, §§ 106 I, 104 I SGB VII (Arbeits- und Schulunfälle; Rn 126 und ausf Rolfs NJW 96, 3177 und BGH VersR 06, 221 zum Wegeunfall) eine Haftung ausscheidet, weil bspw kein Vorsatz oder keine Teilnahme am allg Verkehr vorliegen (BGH VersR 04, 133; s.a. Rn 37). Alle Haftungsprivilegien kommen dem Staat zugute (BGH VersR 08, 410).