Gesetzestext
(1) Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht).
(2) 1Der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz ist fehlerhaft. 2Die Fehlerhaftigkeit muss der Nachfolger im Besitz gegen sich gelten lassen, wenn er Erbe des Besitzers ist oder die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers bei dem Erwerb kennt.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 858 ist die Grundnorm für den Besitzschutz. Zweck der Gesamtregelung ist die Sicherung des äußeren Rechtsfriedens und der bestehenden Besitzlage. Ausgeschlossen werden soll Selbsthilfe zugunsten des Rechtsinhabers (Gedanke eines possessorischen Schutzes, die petitorischen Einwendungen sind wegen § 863 ausgeschlossen). Daher ist der Besitzschutz als solcher immer nur eine vorläufige Regelung. Das jeweilige Recht zum Besitz ist insoweit unerheblich (§ 863). Angesprochen ist jeweils nur der unmittelbare Besitz. Im Folgenden ist der Regelungszusammenhang der §§ 858 bis 864 zu beachten. Nach der Grundnorm (§ 858) folgen die Selbsthilfemöglichkeiten (§§ 859, 860), sodann die Ansprüche aus dem Besitz (§§ 861, 862) und schließlich die Einwendungen (§§ 863, 864). Der Besitzschutz enthält in seinen Ansprüchen (§§ 861, 862) eine Parallele zum Eigentum (§§ 985, 1004). Beide zusammen bilden bei Immobilien die Grundlage für das Hausrecht (BGH NJW 06, 1054 [BGH 20.01.2006 - V ZR 134/05]).
B. Verbotene Eigenmacht (Abs 1).
I. Begriff und Bedeutung.
Rn 2
Zentraler Ausgangspunkt für den gesamten Besitzschutz ist die verbotene Eigenmacht, die in I als widerrechtliche Beeinträchtigung des Besitzes ohne Willen des Besitzers definiert wird. Dabei bezieht sich die Norm wie der gesamte Besitzschutz nur auf den unmittelbaren Besitzer. Kein Tatbestandsmerkmal des gesamten Besitzschutzes ist das Verschulden. Nicht möglich ist verbotene Eigenmacht ggü dem Besitzdiener oder ggü demjenigen, der ein Recht an der Sache hat (ohne unmittelbarer Besitzer zu sein).
II. Beeinträchtigung.
Rn 3
Die verbotene Eigenmacht wird vom Gesetz als Beeinträchtigung des Besitzes entweder durch Besitzentziehung oder durch Besitzstörung verstanden. Besitzentziehung ist die Beendigung des Besitzes (völliger oder teilw Besitzverlust) mit der Konsequenz des § 861, Besitzstörung ist die sonstige Beeinträchtigung der tatsächlichen Sachherrschaft mit der Konsequenz des § 862 (zur Störung iE s.u. § 1004). In allen Fällen der Beeinträchtigung kommt es weder auf ein Verschulden noch auf den guten Glauben des Handelnden oder auf ein Recht zum Besitz an. Die Beeinträchtigung wird idR physischer Natur sein, sie kann im Einzelnen aber auch ohne körperlichen Eingriff, etwa durch Bestreiten oder Drohungen ausgeübt werden.
Rn 4
IE liegt Entziehung des Besitzes vor bei Wegnahme, Absperrung, Unterbindung des Zugangs, Ergreifen des Mitbesitzes an der ganzen Sache oder Begründung von Teilbesitz. Die Begründung von Teilbesitz durch teilweise Besitzentziehung ist zugleich sonstige Störung an der gesamten Sache (BGH NJW 67, 48 [BGH 19.10.1966 - Ib ZR 156/64]). Entziehung ist schließlich das Parken auf einem fremden Parkplatz (BGH NJW 16, 863 Rz 13; BGH NJW 16, 2407 [BGH 11.03.2016 - V ZR 102/15] Rz 6; BGH NJW 14, 3727 [BGH 04.07.2014 - V ZR 229/13]; LG Frankfurt NJW-RR 03, 311 [LG Frankfurt am Main 12.12.2002 - 2/24 S 145/02]; Abgrenzung zur Störung sehr str, aber im Hinblick auf § 859 bedeutsam; Einzelheiten bei MüKo/Schäfer § 858 Rz 5). Wird auf eine digital vernetzte Sache (zB Auto) aus der Ferne zugegriffen, so stellt dies keinen besitzrechtlichen Tatbestand der Entziehung dar (Casper/Grimpe ZIP 22, 661, 663; Strobel NJW 22, 2361; Kaulbach ZIP 23, 343; aA Ddorf MMR 22, 403 = JZ 22, 359). Besitzstörung deckt sich im Wesentlichen mit dem Störerbegriff des § 1004. Damit kommt auch eine Zustandsstörung (zB durch den Halter eines Fahrzeugs, das der Fahrer auf fremdem Grund abgestellt hat) in Betracht (BGH NJW 16, 863 Rz 21, 22). IE kann die Störung in einer Beschädigung der Sache durch Immissionen, Lärm, Anbringen von Werbung und ähnlichem liegen. Auch ein Unterlassen des Störers kann Störung sein, zB die unterbliebene Versorgung einer Mietwohnung durch den Vermieter mit Energie, Wärme, Wasser während der Mietzeit; nach Beendigung des Mietvertrags ist die Einstellung der Versorgung mit Energie usw keine Störung (BGH NJW 09, 1947 [BGH 06.05.2009 - XII ZR 137/07]). Eine Störung stellt es auch dar, wenn die Nutzung der Sache erlaubt, aber an bestimmte Bedingungen geknüpft ist (Parken auf einem Kundenparkplatz), ohne dass die Bedingung erfüllt würde (BGH NJW 16, 863 [BGH 18.12.2015 - V ZR 160/14] Rz 13).
III. Ohne Willen.
Rn 5
Voraussetzung für eine zur verbotenen Eigenmacht führende Beeinträchtigung ist weiterhin, dass sie ohne Willen des Besitzers erfolgt. Damit wird nicht zwingend eine Beeinträchtigung gegen den Willen des Besitzers verlangt. Der vorhandene oder fehlende Wille ist ein natürlicher Wille, nicht ein Rechtsgeschäft. Die Zustimmung des unmittelbaren Besitzers muss zum Zeitpunkt der Beeinträchtigung tatsächlich vorhande...