Rn 17
Für die Beurteilung der Wesentlichkeit gelten dieselben Grundsätze wie für die Beurteilung der Unwesentlichkeit (Rn 12 ff). Auf das subjektive Empfinden des Beeinträchtigten kommt es somit nicht an, sondern auf das eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks. Damit wird ein Gleichlauf zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Immissionsschutz hergestellt; denn wesentliche Beeinträchtigungen iSv § 906 sind identisch mit erheblichen Belästigungen iSv § 3 I BImSchG (BGH NJW 03, 3699 [BGH 26.09.2003 - V ZR 41/03]).
Rn 18
Für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist eine Güterabwägung notwendig, bei der ein objektiver Maßstab anzulegen ist. Allerdings ist in jedem Fall die konkrete Situation des Grundstücks zu berücksichtigen, zB seine Lage, seine Ausstattung und seine Zweckbestimmung. Die wesentliche Beeinträchtigung der Nutzung eines Wohnhauses setzt nicht voraus, dass es unbewohnbar wird; es reicht aus, dass die mit der konkreten Wohnnutzung verbundenen Annehmlichkeiten beeinträchtigt werden und dadurch der Wert des Hauses gemindert wird (BGH MDR 80, 655). Geräusch- und Geruchsbeeinträchtigungen durch Kraftfahrzeuge führen bereits dann zu einer wesentlichen Beeinträchtigung, wenn ein durchschnittlicher Nutzer des betroffenen Grundstücks sie ohne weiteres wahrnimmt und empfindet (BGH NJW 82, 440, 441 [BGH 30.10.1981 - V ZR 191/80]). In jedem Fall ist die Wesentlichkeitsgrenze dann überschritten, wenn die Einwirkungen zu einer Gesundheitsgefährdung führen (BGH NJW 04, 1317 [BGH 13.02.2004 - V ZR 217/03]) oder objektiv festgestellte physische Auswirkungen auf das Eigentum des betroffenen Grundstückseigentümers haben (BGHZ 157, 33, 43f), zB wenn sprengungsbedingte Erschütterungen einen erheblichen Sachschaden an einem Gebäude des Nachbargrundstücks verursacht haben (BGH NJW 99, 1029) oder die Dacheinläufe und Dachrinnen eines Wohnhauses durch herab fallende Bestandteile von auf dem Nachbargrundstück wachsenden Bäumen verstopft werden (BGHZ 157, 33, 44).
Rn 19
Beeinträchtigen summierte Einwirkungen mehrerer Emittenten jede für sich unwesentlich, zusammen aber wesentlich, kann von jedem einzelnen Emittenten Unterlassung verlangt werden, bis die Einwirkungen die Grenze zur Wesentlichkeit unterschreiten (vgl Frankf DWW 85, 208 u MüKo/Brückner Rz 190).
Rn 20
Werden die in I 2, 3 genannten Grenz- oder Richtwerte (Rn 14 f) überschritten, indiziert das die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung (BGH MDR 05, 328 [BGH 08.10.2004 - V ZR 85/04]). Eine wesentliche Beeinträchtigung kann allerdings auch dann vorliegen, wenn die Werte unterschritten werden (BGH NJW 99, 1029 [BGH 20.11.1998 - V ZR 411/97]). Das ist die Folge des Grundsatzes, dass es für die Beurteilung der Wesentlichkeit auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks ankommt (Rn 17). Bei Immissionen, die Luftverschmutzungen zur Folge haben, kommt es deshalb in erster Linie nicht auf die – zur Beurteilung der Wesentlichkeit jedoch auch heranzuziehenden – Werte nach der TA-Luft an, sondern auf das Gesamterscheinungsbild. Bei Lärmimmissionen ist – neben den Werten der TA-Lärm – die Lästigkeit der Geräusche maßgeblich, die sich ua nach dem Zeitpunkt ihrer Zuführung (BGHZ 148, 261, 265f), nach ihrer Dauer und Häufigkeit (BGH NJW 03, 3699, 3700), nach ihrer Eigenart wie zB hohe Frequenzen (BGH MDR 69, 744) oder plötzliches Auftreten und An- und Abschwellen (BGHZ 120, 239, 258) sowie nach ihrem Impulscharakter (BGH NJW 83, 751) beurteilt (Einzelfälle s bei Staud/Roth Rz 189 ff; zu häuslichem Musizieren BGH WuM 18, 787, 789). Bei Geruchsimmissionen entscheidet die Ekelerregung über die Wesentlichkeit (BGHZ 140, 1, 8).
Rn 21
Die Ermittlung der – als Anhaltspunkt für die Beurteilung der Wesentlichkeit dienenden – Grenz- oder Richtwerte erfolgt bei Lärmimmissionen danach, in welchem Gebiet sich das beeinträchtigende und das beeinträchtigte Grundstück befinden. Beim Zusammentreffen von Gebieten unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit (zB allg Wohngebiet und Industriegebiet) ist jede Grundstücksnutzung mit einer spezifischen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so dass für die Ermittlung der maßgebenden Grenz- und Richtwerte ein Mittelwert gefunden werden muss (BGHZ 148, 261, 264).
Rn 22
Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit ist auch zu berücksichtigen, ob die störende Anlage mit behördlicher Genehmigung betrieben wird. Zwar schließt die Genehmigung idR den Anspruch aus § 1004 I nicht aus (vgl BGH MDR 22, 889, 890); aber das Fehlen einer notwendigen behördlichen Genehmigung ist für die Prüfung der Wesentlichkeit einer von der nicht genehmigten Anlage ausgehenden Einwirkung auf benachbarte Grundstücke jedenfalls so lange von Bedeutung, wie die uneingeschränkte Genehmigungsfähigkeit nicht feststeht, denn das Genehmigungsverfahren dient auch dazu, die Beeinträchtigung von Nachbarn gering zu halten (BGHZ 140, 1, 6f). Eine fehlende Genehmigung stellt für die Frage der Wesentlichkeit der Beeinträchtig...