Rn 1
Das materielle Vormundschaftsrecht hat in §§ 1773 ff seine Regelung gefunden und gliedert sich in die Vormundschaft über Minderjährige (§§ 1773–1808), die rechtliche Betreuung (§§ 1814–1881), die Pflegschaft für Minderjährige (§§ 1809–1813) und sonstige Pflegschaften (§§ 1882–1888), die den Dritten Abschnitt beschließt. Als besonders ausgestaltete Art der Pflegschaft ist die Beistandschaft des Jugendamtes außerhalb des 3. Abschnitts geregelt (§§ 1712–1717). Das spezielle Verfahrensrecht findet sich im FamFG. Ein Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, welches umfassende Veränderungen für diesen gesetzlichen Regelungsbereich vorsieht, ist am 5.3.21 vom Bundestag verabschiedet worden. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 26.3.21 zugestimmt und das Gesetz vom 4.5.21 (BGBl I, 882) ist zum 1.1.23 in Kraft getreten. Zum Inhalt der Reform allg: Bode, Das neue Vormundschaftsrecht, 2021; Sochs, Vormundschaftsrecht und Pflegschaft in der Rechtspraxis, 2022; Joeker, Das neue Betreuungsrecht, 2021; Schnellenbach ua, Betreuungsrecht für die Praxis, 2022; Schwab FamRZ 20, 1321 ff; 23, 1 ff; Münch FamRZ 20, 1513 ff; Wedel/Kraemer FamRZ 20, 1525 ff; Dürbeck FamRZ 20, 1790 ff; Scholz FamRZ 20, 1693; Schulte-Bunert FuR 23, 313 ff; zu Akzeptanz und Qualität ehrenamtlicher Betreuung in der Reform: Christl FamRZ 21, 81 ff; zum ›vorläufigen Vormund‹ gem § 1781 I nF: Socha FamRZ 21, 87 ff; zum Verhältnis von Vormund und Pflegeperson: Veit FamRZ 21, 1502 ff; zum zusätzlichen Pfleger gem § 1776 nF: Hoffmann FamRZ 21, 1774 ff; zur Auskunftspflicht des Betreuers ggü Angehörigen gem § 1822 nF: Socha FamRZ 21, 1861 ff; zu Kontrollbetreuung und Vorsorgevollmacht: Müller-Engels FamRZ 21, 645 ff; Kurze FamRZ 21, 1934 ff; Makowski FamRZ 22, 12 ff; Böhm FamRZ 22, 1253 ff; zur Aufenthalts- und Umgangsbestimmung durch den Betreuer: Schneider FamRZ 22, 1 ff; zur erweiterten Prozessfähigkeit des Betreuten: Gottwald FamRZ 22, 331 ff; zur Auswahl und Typisierung des Betreuers: Reh FamRZ 22, 673 ff; zu ›Wünschen und Willen‹ des Betreuten als neuer Maßstab für die Betreuertätigkeit: Dodegge FamRZ 21, 844 ff; rechtliche Betreuung bei Strafgefangenen: Gößling FamRZ 24, 245 ff; zur neuen Funktion der Betreuungsbehörde: Kraemer FamRZ 22, 927 ff.; Volmar FamRZ 23, 820 ff.
Rn 1a
Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v 4.5.21 (BGBl I, 882) hat zu einer vollständigen Neustrukturierung beider Rechtsbereiche geführt. Vormundschaft und Betreuung sind neu und einheitlich gegliedert worden (Bestellung, Führung, Beratung und Aufsicht, Beendigung, Vergütung und Aufwendungsersatz). Die Vermögenssorge ist entspr ihrer besonderen Bedeutung für den Bereich der Betreuung nunmehr auch überwiegend dort geregelt (§§ 1835–1860). Im Vormundschaftsrecht finden sich lediglich noch einige wenige Sonderregelungen zur Vermögenssorge, die Modifikationen enthalten, die in den Unterschieden in der Regelung von Vermögensangelegenheiten für Minderjährige und für Erwachsene begründet sind. Im Übrigen wird im Vormundschaftsrecht und auch im Recht der elterlichen Sorge für den Bereich der Vermögenssorge weitgehend auf das Betreuungsrecht verwiesen (§§ 1798–1801 u §§ 1643–1645). Gleiches gilt für die Fürsorge und Aufsicht des Gerichts sowie zum Aufwendungsersatz und zur Vergütung, die nun im Betreuungsrecht eingeordnet sind. Abweichend vom bisherigen Regelungsmodell finden sich im Vormundschafts- und Betreuungsrecht nur noch die Bestimmungen zu Vergütung und Aufwendungsersatz für ehrenamtliche Vormünder, im Übrigen wird auf das VBVG verwiesen.
Neben den strukturellen Veränderungen hat die Reform aber auch zu zahlreichen inhaltlichen Änderungen im Bereich von Vormundschaft, Pflegschaft und Betreuung geführt. So steht im neuen Vormundschaftsrecht der Mündel mit seinen Rechten im Zentrum, was seinen Ausdruck darin findet, dass die Erziehungsverantwortung des Vormunds, das Verhältnis von Vormund und Pflegeperson, die idR den Mündel im Alltag erzieht, ausdrücklich geregelt werden. Die verschiedenen Vormundschaftstypen werden zu einem Gesamtsystem zusammengeführt, wobei ehrenamtliche Vormünder vorrangig zu bestellen sind, während berufliche Vormünder einschließlich des Jugendamtes als Amtsvormund gleichrangig sind. Die Einführung des neuen Rechtsinstituts der vorläufigen Vormundschaft soll es dem FamG erlauben, in Ruhe einen geeigneten Vormund auszuwählen, während zunächst ein Vormundschaftsverein oder das Jugendamt vorübergehend die Fürsorge für den Mündel übernimmt. Die Rechte der Pflegeperson, die idR die eigentliche Erziehungsaufgaben wahrnimmt, da der Mündel bei ihr lebt, gegenüber dem Vormund, sind durch die Einführung von Beteiligungsrechten gestärkt worden. Im Betreuungsrecht soll durch die Reform der materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften eine konsequente an der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen orientierte Anwendungspraxis gestaltet werden, die den Betroffenen im Wege der Unterstützung zur Ausübung seiner rechtliche...