Dr. Axel Deutscher, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
§ 84 regelt die materielle Rechtskraft von Entscheidungen über eine OWi. |
2. |
Eine ausdrückliche Regelung über die Rechtskraft enthält § 84 nur für Bußgeldbescheide und Urteile. |
3. |
Gem. § 84 Abs. 1 kann eine Tat nicht mehr als OWi verfolgt werden, wenn hierüber zuvor rechtskräftig mittels Bußgeldbescheids oder durch das Gericht entschieden worden ist. |
4. |
Die materielle Rechtskraft und damit die Sperrwirkung bestehen hinsichtlich derselben Tat. |
5. |
Sind die Voraussetzungen des § 84 erfüllt, ist ein zweiter Bußgeldbescheid nach herrschender Meinung nicht von vornherein nichtig. |
Rdn 3200
Literaturhinweise:
Krenberger, Das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft im Bußgeld- und Strafrecht, DAR 2017, 192.
Rdn 3201
1. § 84 regelt die materielle Rechtskraft von Entscheidungen über eine OWi und damit, ob und in welchem Umfang eine erneute Ahndung möglich ist, ohne dass es eines förmlichen Wiederaufnahmeverfahrens (§ 85) bedarf (→ Wiederaufnahme des Verfahrens, Rdn 4228). Das Doppelbestrafungsverbot "ne bis in idem" gilt auch im Bußgeldverfahren und mit Einschränkungen für ein sich anschließendes Strafverfahren. Der Umfang der Verfolgungssperre hängt maßgeblich davon ab, ob zuvor eine Entscheidung durch Bußgeldbescheid (Abs. 1) oder durch ein Gericht getroffen worden war (Abs. 2).
☆ Wenn der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt war, liegt kein rechtskräftiges Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit gem. § 84 Abs. 2 S. 1 vor, das eine weitere Verfolgung der Tat als Straftat ausschließt (OLG Nürnberg StraFo 2012, 468). Daraus folgt, dass auch in diesem Fall nach § 81 vom Bußgeldverfahren auf ein Strafverfahren übergehen darf (→ Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren , Rdn 3651 ).Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt war, liegt kein rechtskräftiges Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit gem. § 84 Abs. 2 S. 1 vor, das eine weitere Verfolgung der Tat als Straftat ausschließt (OLG Nürnberg StraFo 2012, 468). Daraus folgt, dass auch in diesem Fall nach § 81 vom Bußgeldverfahren auf ein Strafverfahren übergehen darf (→ Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren, Rdn 3651).
Rdn 3202
2.a) Eine ausdrückliche Regelung über die Rechtskraft enthält § 84 nur für Bußgeldbescheide und Urteile. Gem. § 84 Abs. 2 S. 2 sind Beschlüsse gem. § 72 und Beschlüsse des (Rechts-)Beschwerdegerichts dem Urteil gleichgestellt.
Rdn 3203
b) Materielle Rechtskraft und damit eine Sperrwirkung für eine erneute Verfolgung kommt einer Sachentscheidung zu, wenn also über die Tat entschieden wurde. Aber auch Beschlüsse, die mit einer sofortigen Beschwerde angegriffen werden können oder von vorneherein einer Anfechtung entzogen sind, können diese Sperrwirkung entfalten, beispielsweise Beschlüsse nach § 206a StPO wegen Einritts der Verfolgungsverjährung (OLG Brandenburg zfs 2016, 592 m. Anm. Krenberger = DAR 2016, 594).
Rdn 3204
c) Eine – allerdings nur sehr eingeschränkte – Sperrwirkung tritt auch im → Verwarnungsverfahren, Rdn 4023 gem. § 56 Abs. 4 ein, wenn der Betroffene ein Verwarnungsgeld akzeptiert. Es handelt sich bei dieser Norm um ein Verfolgungshindernis eigener Art (KK/Lutz, § 56 Rn 36). Nach dem Wortlaut kann die Tat "nicht mehr unter den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden, unter denen die Verwarnung erteilt worden ist" (AG Bonn zfs 2007, 473 m. Anm. Bode; zu den Einzelh. Göhler/Gürtler, § 56 Rn 42 ff.; KK/Lutz, § 56 Rn 37 ff.).
☆ Möchte der Betroffene deshalb die umfassendere Sperrwirkung des § 84 Abs. 1 erzielen, darf er nicht die Zustimmung nach § 54 Abs. 2 S. 1 erteilen, um so den Erlass eines Bußgeldbescheids zu erzwingen.Bußgeldbescheids zu erzwingen.
Bei der – eingeschränkten – Bindungswirkung verbleibt es auch dann, wenn der Betroffene das Verwarnungsgeldangebot nicht akzeptiert, gegen den Bußgeldbescheid zunächst Einspruch einlegt und den Einspruch sodann zurücknimmt (OLG Jena DAR 2006, 162).
Rdn 3205
d) Schwierig ist im Einzelfall die Frage zu beantworten, ob und in welchem Umfang die Einstellung des Verfahrens eine Sperrwirkung entfaltet (zur Einstellung → Einstellung des Verfahrens nach allgemeinen Bestimmungen, Rdn 1006 m.w.N.). Bei einer Einstellung gegen eine Auflage gem. § 153a StPO ist der beschränkte Strafklageverbrauch gesetzlich in Abs. 1 S. 5, Abs. 2 S. 2 ausdrücklich geregelt (KG zfs 2017, 231 = NZV 2017, 192 = DAR 2017, 154; OLG Jena wistra 2010, 39). Mit Erledigung der Auflage wird das Verfahren endgültig beendet. Eine Ahndung als OWi ist dann ausgeschlossen; § 21 Abs. 2 wird von der spezielleren Regelung in § 153a StPO verdrängt. Demgegenüber hat der Gesetzgeber leider davon abgesehen, eine solche Bestimmung für die Einstellung nach § 47 wie auch für jene nach § 153 StPO aufzunehmen.
Rdn 3206
In Bezug auf § 153 StPO hat der BGH im Beschl. v. 26.8.2003 festgestellt, dass bei einer Einstellung durch gerichtlichen Beschluss gem. § 153 Abs. 2 StPO ebenfalls ein beschränkter Strafklageverbrauch eint...