Dr. Axel Deutscher, Dr. iur. Thorsten Junker
Rdn 3426
Literaturhinweise:
Fromm, Neuigkeiten zur Vorsatzverurteilungen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, DAR 2022, 410
Lorenz, Wann ist das Überfahren einer roten Ampel erlaubt?, NZV 2015, 471
s.a. die Hinw. bei → Rotlichtverstoß, Allgemeines, Rdn 3322.
Rdn 3427
1. Auch beim Rotlichtverstoß gehören die Feststellungen zur inneren Tatseite zum unverzichtbaren Inhalt des Urteils (vgl. u.a. KG NZV 2001, 441 = DAR 2001, 515 = VRS 101, 228; VRS 128, 142; NZV 2016, 442; Beschl. v. 24.6.2021 – 3 Ws (B) 131/21, DAR 2022, 159 = NZV 2021, 643; OLG Brandenburg zfs 2000, 81 [für die Geschwindigkeitsüberschreitung]; OLG Jena DAR 2006, 225 = VRS 110, 134). Das bedeutet, dass sich aus dem Urteil ergeben muss, ob der Betroffene vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Hinsichtlich der Voraussetzungen für Vorsatz und Fahrlässigkeit gelten die allgemeinen Regeln. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Kommentierung bei Göhler/Gürtler, § 10 Rn 1 ff. m.w.N. verwiesen (→ Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, Vorsatz/Fahrlässigkeit, Rdn 2327). Allerdings sind bei einem innerörtlichen Verstoß ohne besondere Umstände keine besonderen Feststellungen hinsichtlich der Fahrlässigkeit erforderlich (OLG Jena, a.a.O.).
Rdn 3428
2. Bei einem vorsätzlichen Verstoß sind eingehende Feststellungen erforderlich. So ist z.B. die Feststellung notwendig, mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene sich der LZA genähert und in welcher Entfernung von der Haltelinie er das dem Rotlicht vorausgehende Gelblicht bemerkt hat. Denn anderenfalls kann nicht entschieden werden, ob er zum Zeitpunkt des Tatentschlusses zum rechtzeitigen Anhalten in der Lage gewesen wäre (KG NZV 2001, 441 = DAR 2001, 515 = VRS 101, 228; VRS 128, 142; NZV 2016, 442). Wenn aber das Tatgericht diese Feststellungen ggf. nicht treffen kann, bedeutet es im Umkehrschluss nicht, dass dem Tatgericht eine entsprechende Verurteilung gestützt auf andere Feststellungen versagt ist (KG, a.a.O.). Es kann auch nicht allein aus dem Umstand, dass der Betroffene zunächst vor der Rotlicht zeigenden LZA gewartet hat, dann aber plötzlich losgefahren ist, der Schluss gezogen werden, dass der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat. Dazu sind dann weitere Feststellungen erforderlich (OLG Hamm, Beschl. v. 5.7.2000 – 3 Ss OWi 578/00). Auch der Umstand, dass die Rotlichtphase schon länger dauerte, rechtfertigt die Annahme von Vorsatz nicht (KG NZV 2004, 598 = VRS 107, 213, 214 = DAR 2004, 594; zum "Dauerrot" OLG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2023 – 5 ORBs 25/23, DAR 2023, 634 = zfs 2023, 647; AG Dortmund, Urt. v. 17.1.2017 – 729 OWi 9/17, VRS 131, 154 = DAR 2017, 282 = zfs 2017, 353 = NZV 2017, 196). I.Ü. kann allein aus der Feststellung, dass der Fahrzeugführer jederzeit sein Fahrzeug verkehrsgerecht hätte rechtzeitig abbremsen können, ebenfalls nicht hergeleitet werden, dass er den Rotlichtverstoß vorsätzlich begangen hat. Dem Entschluss, in solcher Situation gleichwohl nicht zu bremsen, kann nämlich die Fehleinschätzung des Fahrzeugführers zugrunde liegen, er werde den Rotlichtverstoß noch vermeiden können, weil er es noch schaffen werde, vor Beginn der Rotphase die Haltelinie zu überfahren (KG DAR 2006, 158 = VRS 111, 145; Hentschel/König/Dauer/König, § 37 StVO Rn 42). Andererseits sind Feststellungen dazu, dass der Betroffene die Wechsellichtanlage wahrgenommen hat, i.d.R. nicht erforderlich (KG, Beschl. v. 24.6.2021 – 3 Ws (B) 131/21, DAR 2022, 159 = NZV 2021, 643). Denn es kann davon ausgegangen werden, dass ein Fahrer grds. eine gut sichtbare Ampelanlage mit der in § 37 Abs. 2 S. 1 StVO bestimmten Farbfolge im Blick hat und von einer bereits gelbes Licht abstrahlenden LZA nicht überrascht wird (KG, a.a.O., unter Hinw. auf die vergleichbare Sachlage bei ordnungsgemäß aufgestellten Vorschriftszeichen, dazu BGHSt 43, 242).
☆ Die Frage, ob Vorsatz oder nur Fahrlässigkeit vorliegt, ist schon deshalb für die Rechtsfolgen von erheblichem Belang , weil die BKatV in § 1 Abs. 2 S. 2 für den Abschnitt I des BKat von einer i.d.R. fahrlässigen Begehung ausgeht. Ist der Rotlichtverstoß vorsätzlich begangen, wird es daher i.d.R. noch schwieriger, ein Absehen vom Fahrverbot zu erreichen.erheblichem Belang, weil die BKatV in § 1 Abs. 2 S. 2 für den Abschnitt I des BKat von einer i.d.R. fahrlässigen Begehung ausgeht. Ist der Rotlichtverstoß vorsätzlich begangen, wird es daher i.d.R. noch schwieriger, ein Absehen vom Fahrverbot zu erreichen.
Rdn 3429
3. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch Irrtumsfragen. Dabei ist es für den Betroffenen von erheblicher Bedeutung, ob ein Irrtum, in dem er sich ggf. befunden hat, als Tatbestandsirrtum (§ 11 Abs. 1) oder nur als Verbotsirrtum (§ 11 Abs. 2) einzuordnen ist. Denn im ersten Fall kommt, wenn der Irrtum vermeidbar war, nur eine Ahndung wegen eines fahrlässigen Verstoßes in Betracht. Unabhängig davon haben die Fragen Auswirkungen auf die Verhängung eines Fahrverbots (→ Fahrverbot, qualifizierter Rotlichtverstoß, Rdn 1694). Ein Verbotsirrtum – etwa im Hinblick auf einen Re...