Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Rdn 4233
1. Gem. § 156 kann die Anklage nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr zurückgenommen werden. Dann ist auch eine Änderung der in der Anklageschrift angegebenen Tatzeiten, durch die bisher von der Anklage nicht erfasste Straftaten in die Strafverfolgung einbezogen werden sollen, nicht mehr zulässig (BGHSt 46, 130). Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens hat die StA nämlich grds. (Teil R Rdn 4234) ihre Dispositionsbefugnis über die Anklage verloren (BGHSt 29, 224, 229; Meyer-Goßner/Schmitt, § 156 Rn 1). Die Zurücknahme der Anklage ist nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens ebenfalls ausgeschlossen (OLG Frankfurt am Main StV 1986, 330; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.).
Rdn 4234
2. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens kann die StA die Anklage zurücknehmen. Das kann sich anbieten, wenn die StA der Auffassung ist, dass – etwa aufgrund neuer Beweismittel – die von ihr erhobene Anklage (nun) unbegründet (geworden) ist oder wenn sie Anklage beim unzuständigen Gericht erhoben hat (i.Ü. Meyer-Goßner/Schmitt, § 156 Rn 2 m.w.N.). Mit der Zurücknahme der öffentlichen Klage wird das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt (OLG Düsseldorf StV 2010, 512 [Ls.]). Wird nach Rücknahme nicht neu Anklage erhoben, muss die StA das Verfahren einstellen (OLG Düsseldorf, a.a.O.; zur Kostenfrage § 467a; → Auslagenerstattung im Ermittlungsverfahren, Teil A Rdn 784). Wird erneut Anklage erhoben, sind die Formvorschriften des § 200 zu beachten. Die bloße Bezugnahme auf die durch die vorherige Rücknahme gegenstandslos gewordene Anklageschrift genügt diesen Formerfordernissen nicht (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Rdn 4235
Die StA darf die Anklage auch zurücknehmen, um das Verfahren nach § 153 Abs. 1 bzw. nach § 153a Abs. 1 einzustellen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 156 Rn 5; → Einstellung des Verfahrens nach § 153 wegen Geringfügigkeit, Teil E Rdn 2098; → Einstellung nach § 153a nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen, Teil E Rdn 2128, m.w.N.). Ggf. sollte der Verteidiger bei "Einstellungsgesprächen" eine solche Verfahrensweise anregen.
☆ Führt die Rücknahme der Anklage zu einer endgültigen Beendigung des Verfahrens, kann für den Verteidiger, wenn er an der Rücknahme mitgewirkt hat, die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG entstehen (Burhoff/Volpert/ Burhoff , RVG, Nr. 4141 VV Rn 41 f.; OLG Köln AGS 2010, 175; LG Berlin AGS 2017, 80; LG Düsseldorf AGS 2011, 430; AG Bad Urach RVGreport 2007, 272 = JurBüro 2007, 361 [inzidenter]; LG Nürnberg, Beschl. v. 13.10.2020 – 7 Qs 56/20, AGS 2021, 174; AG Gießen AGS 2016, 394).zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG entstehen (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 41 f.; OLG Köln AGS 2010, 175; LG Berlin AGS 2017, 80; LG Düsseldorf AGS 2011, 430; AG Bad Urach RVGreport 2007, 272 = JurBüro 2007, 361 [inzidenter]; LG Nürnberg, Beschl. v. 13.10.2020 – 7 Qs 56/20, AGS 2021, 174; AG Gießen AGS 2016, 394).
Siehe auch: → Anklageschrift, Teil A Rdn 574; → Eröffnungsbeschluss, Teil E Rdn 2387; → Eröffnungsverfahren, Teil E Rdn 2411; → Steuerstrafverfahren, Besonderheiten, Teil S Rdn 4333; → Strafbefehlsverfahren, Teil S Rdn 4382.