Rz. 104
Häufig wird auch die Rücknahme der Anklage oder die Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls durch die Staatsanwaltschaft in analoger Anwendung der Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 als ein Grund für die Zusätzliche Gebühr angesehen. Dies ist in dieser Aussage jedoch unzutreffend. Alleine die Rücknahme der Anklage oder die Rücknahme des Antrags auf Erlass des Strafbefehls beendet das Verfahren noch nicht. Dieser Fall ist daher mit einer "nicht nur vorläufigen Einstellung" nicht vergleichbar. Die Strafsache wird vielmehr in das vorbereitende Verfahren zurückversetzt und dort fortgeführt.
Rz. 105
Wird das Verfahren dann allerdings nach Rücknahme im vorbereitenden Verfahren eingestellt, lässt dies die Zusätzliche Gebühr entstehen. Allerdings zählt die Einstellung dann zum vorbereitenden Verfahren, das sich nach Rücknahme der Anklage oder Rücknahme des Strafbefehls fortsetzt.
Rz. 106
Fehlt es ausdrücklich an einem Einstellungsbeschluss, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Staatsanwaltschaft mit der Rücknahme der Anklage oder der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens konkludent erklären wollte. In diesem Fall ist Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 anzuwenden.
Rz. 107
Für die Zusätzliche Gebühr ist es unerheblich, ob der Verteidiger zuvor bereits im Ermittlungsverfahren tätig war. Dies hat nur Einfluss auf die sonstigen Gebühren.
Beispiel: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Anklage vor dem AG nach Eröffnung des Verfahrens aufgrund einer Einlassung des Verteidigers zurück und stellt das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Verteidiger war bereits im Ermittlungsverfahren tätig.
Im gerichtlichen Verfahren entsteht keine Zusätzliche Gebühr, weil die Sache mit Rücknahme der Anklage noch nicht erledigt ist und jederzeit eine neue Anklage erhoben werden kann. Mit der Rücknahme der Anklage ist die Sache wieder in das vorbereitende Verfahren zurückversetzt worden, sodass dort jetzt infolge der Einstellung die Zusätzliche Gebühr anfällt. Da der Verteidiger dort bereits tätig war, kann die Verfahrensgebühr nicht erneut entstehen. Sie kann jetzt allenfalls aufgrund des höheren Umfangs seiner Tätigkeit überdurchschnittlich anzusetzen sein.
Geht man von der Mittelgebühr aus, dann ist wie folgt zu rechnen:
I. |
Vorbereitendes Verfahren |
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
|
220,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
|
181,50 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
421,50 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
80,09 EUR |
Gesamt |
|
501,59 EUR |
II. |
Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren |
1. |
Verfahrensgebühr, VV 4106 |
|
181,50 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
201,50 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
38,29 EUR |
Gesamt |
|
239,79 EUR |
III. Fortgesetztes vorbereitendes Verfahren nach Rücknahme der Anklage |
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
|
220,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
|
181,50 EUR |
3. |
Zusätzliche Gebühr, VV 4141, 4106 |
|
181,50 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
5. |
Bereits abgerechnet (netto) |
|
– 421,50 EUR |
|
Zwischensumme |
181,50 EUR |
|
6. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
34,49 EUR |
Gesamt |
|
215,99 EUR |
Beispiel: Wie vorangegangenes Beispiel; der Anwalt war im vorbereitenden Verfahren jedoch nicht tätig gewesen.
Im gerichtlichen Verfahren entsteht auch jetzt keine Zusätzliche Gebühr, wohl aber die Grundgebühr. Mit Rücknahme der Anklage lebt das Ermittlungsverfahren auf, sodass der Anwalt dort jetzt zunächst die Verfahrensgebühr der VV 4104 verdient und anschließend auch die Zusätzliche Gebühr.
Geht man von der Mittelgebühr aus, dann ist wie folgt zu rechnen:
I. |
Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren |
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
|
220,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4106 |
|
181,50 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
421,50 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
80,09 EUR |
Gesamt |
|
501,59 EUR |
II. |
Vorbereitendes Verfahren |
1. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
|
181,50 EUR |
2. |
Zusätzliche Gebühr, VV 4141, 4106 |
|
181,50 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
383,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
72,77 EUR |
Gesamt |
|
455,77 EUR |
Rz. 108
Das gilt auch dann, wenn schon ein Termin stattgefunden hat, die Hauptverhandlung aber ausgesetzt worden war. Es gilt auch hier das Gleiche wie bei einer Einstellung nach Aussetzung der Hauptverhandlung.
Rz. 109
Wird nach Rücknahme der Anklage diese erneut erhoben, ist dagegen für VV 4141 kein Raum.
Rz. 110
Die Rücknahme der Anklage oder des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls ist im Berufungsverfahren ebenfalls möglich, allerdings wegen § 156 StPO nur in den Fällen der §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1, 153c Abs. 3 oder 153d Abs. 2 StPO.