Leitsatz
1. Ein Betrag, der als Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausgewiesen wird, die eine Person ausstellt, die Dienstleistungen an den Staat erbringt, ist dann nicht als Mehrwertsteuer zu qualifizieren, wenn diese Person irrtümlich annimmt, dass sie diese Dienstleistungen als Selbstständiger erbringt, obwohl in Wirklichkeit ein Verhältnis der Unterordnung besteht.
2. Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der 6. EG-RL verbietet nicht die Rückerstattung eines Betrags, der in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument irrtümlich als Mehrwertsteuer ausgewiesen ist, wenn die fraglichen Dienstleistungen nicht der Mehrwertsteuer unterliegen und der in Rechnung gestellte Betrag daher nicht als Mehrwertsteuer qualifiziert werden kann.
Normenkette
Art. 4 Abs. 1, Abs. 4 der 6. EG-RL und , Art. 21 Nummer 1 Buchstabe c der 6. EG-RL, vergl. , § 2 Abs. 1 UStG , § 14 Abs. 3 UStG
Sachverhalt
Das griechische Außenministerium hatte einen Übersetzungsdienst eingerichtet, bei dem Privatpersonen erforderliche amtliche Übersetzungen erhalten können; dies gegen eine Gebühr, deren Höhe – so das Ministerium – nach einer Vergütung für die Übersetzung zuzüglich Umsatzsteuer berechnet war.
Der Übersetzungsdienst gab die Übersetzungen an Dolmetscher weiter, die einen dem Umfang der Tätigkeit entsprechenden Anteil an den Gebühren erhielten und den Betrag, aufgeteilt nach Vergütung und Mehrwertsteuer, quittierten. Die Klägerin war als Übersetzerin tätig und verlangte mit der Begründung, sie sei nicht selbstständig, die irrtümlich quittierte "Umsatzsteuer" zurück.
Das Oberverwaltungsgericht hatte die in den Praxis-Hinweisen erläuterten Fragen vorgelegt.
Entscheidung
Der EuGH hat die Fragen, wie im Leitsatz wiedergegeben und in den Praxis-Hinweisen erläutert, beantwortet.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft zwar nicht deutsches Umsatzsteuerrecht; sie ist aber als Auslegung der 6. EG-RL auch hierfür von Bedeutung. Es geht um 2 Fragen: die Abgrenzung selbstständige/nichtselbstständige Tätigkeit und die Frage, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer zurückerstattet werden muss.
1. Art. 4 Abs. 4 der 6. EG-RL erläutert, dass der Begriff selbstständig nicht nur Lohn- und Gehaltsempfänger von der Besteuerung ausschließt, sondern auch sonstige Personen, soweit sie durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
Gericht und griechische Regierung waren hierzu unterschiedlicher Auffassung; der EuGH betont, dass er sich nur zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts äußert (Rz. 38) und zur Beurteilung des Sachverhalts nicht Stellung nimmt. Ob die Einordnung der Tätigkeit als selbstständig zutreffend war oder nicht – was im Streitfall durchaus zweifelhaft war und auch durch die Entscheidung durchschimmert – obliegt deshalb allein dem nationalen Gericht.
2. Stellt ein Nichtselbstständiger eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer aus, schuldet er diesen Betrag nicht als Mehrwertsteuer, sondern nur wegen des unzutreffenden Ausweises (Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der 6. EG-RL; vergl. § 14 Abs. 3 UStG); der Leistungsempfänger darf ihn deshalb nicht als Vorsteuer abziehen. Aber: Jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer kann berichtigt werden, wenn
- der Aussteller den guten Glauben nachweist oder
- die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt wird (Rz. 50 m.w.N.).
Bei einer wegen irrtümlicher Annahme der Steuerpflicht einer Leistung zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer besteht – so der EuGH – keine Gefährdung des Steueraufkommens und setzt deshalb die Rückerstattung nicht die Darlegung des guten Glaubens des Ausstellers voraus (Rz. 53). Im Klartext: Wer irrtümlich annimmt, eine Leistung, die unter keinen Umständen steuerpflichtig sein kann, sei mehrwertsteuerpflichtig und behandelt sie als solche, darf die Rechnung mit der Folge der Erstattung des zu Unrecht abgeführten Betrags stets berichtigen, ohne den guten Glauben nachweisen zu müssen. Er hat ihn ja, meine ich, wenn er sich tatsächlich über deren rechtliche Behandlung irrt.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 06.11.2003, C-78/02, C-79/02, C-80/02 – Karageorgou