Leitsatz
Das BSG hat erstmals die Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht gesetzlicher Krankenkassen bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen umgesetzt. Danach müssen Kassen in besonderen Fällen auch Kosten für in Deutschland nicht anerkannte Heilmethoden übernehmen. Das BVerfG hatte im Dezember den Versicherten in besonderen Ausnahmesituationen das Recht eingeräumt, sich auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung auch mit nicht allgemein anerkannten Methoden ärztlich behandeln zu lassen. Der BSG wies außerdem darauf hin, dass diese Sonderbetrachtung auch für Krankheiten gelten soll, die nicht lebensbedrohlich sind, aber besonders schwerwiegende Folgen, wie z.B. Erblindung, aufweisen.
Sachverhalt
Schwerstkranke können nach der neuen BVerfG-Rechtsprechung (Beschluss v. 6.12. 2005, 1 BvR 347/98) unter bestimmten Voraussetzungen von ihrer Krankenkasse die Kostenerstattung auch für in Deutschland nicht anerkannte Heilmethoden verlangen: Wird die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt und hat der Versicherte der Therapie nach entsprechender ärztlicher Aufklärung trotz zu befürchtender Gefahren und Nebenwirkungen ausdrücklich zugestimmt, darf die Krankenkasse die Leistung nicht verweigern. Dies gilt auch für nicht zugelassene Arzneimittel.
Doch das BSG schränkt ein: Versicherte können auch weiterhin "nicht alles von der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen," was ihrer Ansicht nach oder objektiv der Behandlung einer Krankheit dient. Das BVerfG hatte entschieden, dass die Krankenkassen bei lebensbedrohlichen Krankheiten auch nicht anerkannte Alternativmethoden bezahlen müssen, wenn eine begründete, "nicht ganz fern liegende Aussicht" auf Heilung oder Linderung besteht, eine anerkannte Standardtherapie hingegen nicht verfügbar ist.
Erstmals wandte nun das BSG diese Rechtsprechung auf neue Fälle an. Unter anderem gab es einer lebensbedrohlich krebskranken Frau Recht, die den zur Chemotherapie zugelassenen Wirkstoff 5-Fluorouracil nicht verträgt. Hier muss die Krankenkasse die 8300 EUR teure Behandlung mit dem aus Kanada bezogenen Wirkstoff Raltitrexed bezahlen. Im anderen Urteil entschied das BSG, dass es Krankheiten mit besonders schwerwiegenden Folgen, z.B. einer Erblindung, einer lebensbedrohlichen Krankheit gleichstellen will.
Link zur Entscheidung
BSG, Urteile v. 4.4.2006, B 1 KR 7/05 RBSG, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R