Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 15 Abs. 3 WEG, § 45 Abs. 3 WEG, § 133 BGB, § 242 BGB, § 779 BGB, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 890 ZPO
Kommentar
1. Ein Wohnungseigentümer kann sich in einem Vergleich gegenüber einem einzelnen anderen Wohnungseigentümer verpflichten, eine bestimmte Nutzung seiner Wohnung (hier: als Arztpraxis) ab einer bestimmten Zeit zu unterlassen.
2. Nach § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen vereinbarungsgemäßen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile verlangen; daraus folgt, dass es sich um einen Individualanspruch handelt und jeder einzelne Eigentümer ohne Ermächtigung durch die übrigen von einem anderen Eigentümer die Unterlassung eines vereinbarungswidrigen Gebrauchs fordern kann (h.R.M.); über einen solchen Individualanspruch kann der Gläubiger verfügen, etwa seinen Anspruch auch durch die Zustimmung zu einer bestimmten Nutzung von Sondereigentum aufzugeben; Gläubiger und Schuldner des Anspruchs können über ihn auch eine Vereinbarung in der Gestalt eines Vergleichs treffen (wie hier geschehen).
3. Die Ermittlung des materiell-rechtlichen (inhaltlichen) Gehalts eines gerichtlichen Vergleichs durch Auslegung ist grundsätzlich Sache des Tatsacheninstanz-Richters; sie kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler hin überprüft werden (ebenfalls h.R.M.).
4. Zur Frage, wann ein Vergleich wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage unwirksam ist oder der veränderten Rechtslage angepasst werden muss: Bei § 797 BGBhandelt es sich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall des Fehlens der Geschäftsgrundlage; sind dessen Voraussetzungen nicht oder nicht voll erfüllt, können auch die allgemeinen Grundsätze über den Wegfall oder das Fehlen der Geschäftsgrundlage Anwendung finden (BGH, WPM 94, 604). Geschäftsgrundlage sind hier "die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut". Das Fehlen der Geschäftsgrundlage führt aber grundsätzlich nicht zur Auflösung oder Unwirksamkeit eines Vertrages, sondern zur Anpassung seines Inhalts an die veränderten Verhältnisse. Vorliegend ergab sich die Nutzungsunterlassungsverpflichtung nicht nur aus dem Vergleich, sondern aus dem Gesetz (zweckbestimmungswidrige Nutzung).
5. § 45 Abs. 4 WEG (gerichtliche Änderung einer Entscheidung oder eines gerichtlichen Vergleichs) ist im Übrigen auf außergerichtliche Vergleiche und Vereinbarungen nicht anwendbar.
6. Eine gegenseitige "Aufrechnung" von Verstößen gegen etwaige Unterlassungsansprüche findet ebenfalls nicht statt (vgl. auch BayObLG, WE 1992, 22).
7. Auf die vorliegende Vereinbarung ist auch nicht § 311 BGB anwendbar. Vorliegend ging es nicht um eine Vermögensübertragung oder Nießbrauchsbelastung, was notarieller Beurkundung bedurft hätte. § 311 BGB ist des Weiteren auch dann nicht anwendbar, wenn sich Verpflichtungen wie hier auf einen bestimmten, einzeln aufgeführten Vermögensgegenstand beziehen (selbst dann, wenn der Gegenstand das ganze oder nahezu das ganze Vermögen des Betroffenen darstellt).
8. Auch verfassungsrechtliche Grundsätze der Art. 12 und 14 GG in Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 WEG sind vorliegend nicht rechtsbedeutsam bzw. verletzt.
9. Zur weiteren Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Unterlassungsantrag gegeben ist, wenn der Antragsgegner dieselbe Unterlassungspflicht (möglicherweise) schon in einem gerichtlichen Vergleich eingegangen, die Auslegung dieses Vergleiches aber unsicher ist.
10. Der Unterlassungsanspruch wegen bestimmungswidriger Nutzung eines Eigentums richtet sich auch dann gegen den Eigentümer, wenn die Wohnung von einem Mieter (vereinbarungswidrig) genutzt wird. Die Frage, ob der Eigentümer die Nutzung unterbinden kann, ist erst in Zwangsvollstreckungsverfahren von Bedeutung ( § 45 Abs. 3 WEG, § 890 ZPO).
11. Auch außergerichtliche Kostenerstattung im Rechtsbeschwerdeverfahren bei Geschäftswert dieser Instanz von DM 21.000,-.
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 10.06.1998, 2Z BR 15/98)
zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer