Leitsatz

Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen zur Vorbereitung von (angeblichen) Haftungsansprüchen aus angeblich fehlerhaften im selben Rechtsstreit erbrachten Gutachterleistungen ist unzulässig.

 

Sachverhalt

Im Auftrag des LG hatten zwei Sachverständige im Zivilprozess Gutachten erstellt. Die ursprünglich Beklagten behaupten, Gutachten und Mitgutachten seien teilweise grob fahrlässig unrichtig. Sie haben den beiden Sachverständigen daher nach § 72 Abs. 1 ZPO den Streit verkündet und machen geltend, bei einer den Gutachten folgenden rechtskräftigen Entscheidung zu ihrem Nachteil stünden ihnen Schadensersatzansprüche gegen die Sachverständigen zu. Das LG hat die Zustellung der Streitverkündungsschriftsätze abgelehnt, da die Streitverkündung rechtsmissbräuchlich sei. Die Rechtsbeschwerde der Beklagte blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen zur Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diesen aus angeblich fehlerhaft erbrachten Gutachterleistungen ist bereits deshalb allgemein unzulässig, weil der Sachverständige in diesem Verfahren nicht als Dritter im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO behandelt werden kann. Er steht als neutraler, vom Gericht bestellter "Gehilfe des Richters" ähnlich dem Richter nicht außerhalb des Prozesses. Wie dieser ist er zur Unparteilichkeit verpflichtet und unterliegt mit § 406 ZPO einer vergleichbaren Regelung über die Ablehnung wegen Befangenheit.

Mit dieser verfahrensrechtlichen Stellung des Sachverständigen, insbesondere der unabdingbaren Gewährleistung seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, wäre es unvereinbar, ihn als Dritten im Sinne der Streitverkündungsbestimmungen zu behandeln. Eine solche Streitverkündung ist regelmäßig ein rechtsmissbräuchlicher Versuch, einen Sachverständigen, mit dessen Begutachtung die Partei nicht einverstanden ist, aus dem Rechtsstreit zu entfernen, statt die Bedenken, die gegen die gutachterliche Stellungnahme bestehen, mit den vorgesehenen prozessualen Mitteln zur Geltung zu bringen. Denn der Betroffene würde hierdurch selbst zum Verfahrensbeteiligten und sich im Hinblick auf seine eigenen Interessen dem Verdacht der Befangenheit aussetzen.

Die Zustellung einer Streitverkündungsschrift, die eine aus den dargelegten Gründen generell unzulässige Streitverkündung an den Sachverständigen bewirken soll, ist vom Gericht zwingend zu verweigern.

 

Praxishinweis

Der BGH hatte die jetzt entschiedene Rechtsfrage bislang offen gelassen[1]. Er folgt in seinem Beschluss erstmals ausdrücklich der von den Untergerichten[2] und auch in der Literatur[3] vertretenen Meinung, die eine Streitverkündung gegenüber Sachverständigen ablehnt. Ist die Partei eines Zivilverfahrens der Auffassung, ein vorgelegtes Gutachten sei fachlich unzulänglich, muss sie dies im Rahmen des Verfahrens – gegebenenfalls unter Beweisantritt – vortragen. Auch Befangenheitsanträge sind prinzipiell zulässig. Die Verfahrensbeteiligten können den Gutachter aber nicht selbst in das Verfahren einbeziehen, um ihn "abzuschießen".

 

Link zur Entscheidung

BGH-Beschluss vom 27.7.2006, VII ZB 16/06

[2] Vgl. etwa OLG Koblenz, Beschluss vom 28.9.2005, 12 W 252/05, BauR 2006, S. 144
[3] So z.B. Rickert/König, Die Streitverkündung gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, NJW 2005, S. 1829

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge