Leitsatz
Leitsatz: Ein zur Unwirksamkeit einer Formularklausel führender so genannter Summierungseffekt aufgrund des Zusammentreffens zweier – jeweils für sich genommen – unbedenklicher Klauseln kann auch dann vorliegen, wenn nur eine der beiden Klauseln formularmäßig, die andere dagegen individuell vereinbart worden ist (Bestätigung von Urteil VIII ARZ 5/92, NJW 1993, 532; amtlicher Leitsatz des BGH).
Normenkette
BGB § 535
Kommentar
Ein im Jahr 1998 abgeschlossener Mietvertrag enthielt folgende Regelungen:
§ 8 Nr. 2: Der Mieter hat insbesondere die Verpflichtung, auf seine Kosten die Schönheitsreparaturen … auszuführen …
Diese Arbeiten sind in der Regel in Küchen, Bädern und Toiletten spätestens nach drei Jahren, in Wohnräumen, Schlafräumen, Dielen … spätestens nach fünf Jahren und in sonstigen Räumlichkeiten … spätestens nach sieben Jahren zu tätigen.
§ 12: Die Mieträume sind zum Vertragsablauf geräumt, sauber zu verlassen. Außerdem sind die Tapeten zu entfernen und die Decken zu streichen.
Die Regelung in § 8 Nr. 2 war Teil des Formularvertrags, § 12 war handschriftlich in das Formular eingefügt. Deshalb wurde dieser Teil der Vertragsregelung als Individualvereinbarung gewertet.
Anlässlich der Beendigung des Mietverhältnisses haben die Parteien ein "Abnahmeprotokoll" gefertigt und unterzeichnet. In diesem Protokoll heißt es unter anderem:
Der Mieter verpflichtet sich, nach Beendigung des Mietverhältnisses die Wohnung ordnungsgemäß und mangelfrei an den Vermieter zu übergeben.
Der Mieter hat die Wohnung weder renoviert noch die Tapeten entfernt. Der BGH hatte zu prüfen, ob dem Vermieter Schadensersatzansprüche zustehen. Dies wird vom BGH verneint:
1. Das Landgericht hatte die Ansicht vertreten, dass die Klausel in § 8 Nr. 2 des Mietvertrags unwirksam ist, weil der Formularvertrag "starre" Renovierungsfristen enthält ("Diese Arbeiten sind … spätestens… auszuführen"). Der BGH teilt diese Ansicht nicht. Durch den Zusatz "in der Regel" kommt zum Ausdruck, dass in Ausnahmefällen auch längere Fristen gelten können.
2. Die unter § 12 des Mietvertrags vereinbarte Regelung, wonach der Mieter "die Tapeten zu entfernen" hat, ist bei isolierter Betrachtung ebenfalls wirksam.
3. Dies führt zu der Frage, welche Rechtsfolge gilt, wenn eine Formularklausel und eine Individualvereinbarung jeweils für sich betrachtet wirksam sind.
a) Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Formularklausel ist die Klausel einschließlich aller individualvertraglicher Ergänzungen zu würdigen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass der Mieter nicht nur laufende Schönheitsreparaturen auszuführen hat (§ 8 Nr. 2), sondern auch bei Vertragsende die Tapeten entfernen muss (§ 12). Die beiden Vereinbarungen führen zu einem Summierungseffekt, der die Unwirksamkeit der Formularklausel zur Folge hat (§ 307 BGB).
b) Die Individualvereinbarung ist nicht an § 307 BGB zu messen. Hier sind folgende Kriterien maßgeblich:
aa) Ist die Individualvereinbarung von der Wirksamkeit der Formularklausel abhängig, so hat die Unwirksamkeit der Formularklausel zwangsläufig die Unwirksamkeit der Individualvereinbarung zur Folge.
bb) Bilden die beiden Vereinbarungen wegen ihres sachlichen Zusammenhangs ein einheitliches Rechtsgeschäft i. S. d. § 139 BGB, so ist im Fall der Nichtigkeit der Formularklausel das gesamte Rechtsgeschäft nichtig.
Vorliegend hat der BGH diesen Punkt aus den nachfolgend dargestellten Gründen offen gelassen.
4. Ist ein Mieter aufgrund einer wirksamen individualvertraglich vereinbarten Tapetenklausel zur Entfernung der Tapeten verpflichtet, so setzt der Schadensersatzanspruch nach §§ 280, 281 BGB voraus, dass dem Mieter eine Frist zur Leistung gesetzt wird. Hierbei muss die gewünschte Leistung genau bezeichnet werden. Der Vermieter kann dem Mieter eine Wahlmöglichkeit einräumen; auch hier muss für den Mieter erkennbar sein, durch welche der alternativen Leistungen er von seiner Leistungsverpflichtung frei wird. Vorliegend entstand der Schadensersatzanspruch nicht, weil die Leistungsaufforderung zu unbestimmt war.
5. Der BGH hat in Erwägung gezogen, ob der Vermieter aus der Vereinbarung in dem Abnahmeprotokoll etwas für sich herleiten kann. In Betracht kommt eine Bestätigung nach § 141 BGB. Diese setzt voraus, dass der Mieter einen Bestätigungswillen hat. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn der Mieter die Unwirksamkeit der Vertragsregelung kennt. Vorliegend war diese Voraussetzung nicht gegeben.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 05.04.2006, VIII ZR 163/05, WuM 2006, 306