Leitsatz
Gegenstand des Verfahrens war der Antrag der Kindesmutter auf Rückführung der gemeinsamen Tochter nach Belgien auf der Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. Das Saarländische OLG hat sich in dieser Entscheidung mit der Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" i.S.d. HKÜ auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Die Eltern hatten im Januar 2009 in Belgien geheiratet. Im August 2009 war ihre gemeinsame Tochter in Belgien geboren. Beide Kindeseltern waren im früheren Jugoslawien (Kosovo) geboren. Die Kindesmutter sprach ausschließlich albanisch und besaß die serbische bzw. kosovarische Staatsangehörigkeit. Sie genoss in Belgien einen ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus, bezog Sozialhilfe und war in Belgien krankenversichert. Der Kindesvater lebte - seit über 20 Jahren - und arbeitete in Deutschland; er war deutscher Staatsangehöriger.
Die Kindesmutter begehrte vom Kindesvater die Rückführung der gemeinsamen Tochter nach Belgien auf der Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ).
Am Abend des 31.8.2009 hatte der Kindesvater in Begleitung seiner Mutter und seiner Schwester die Kindesmutter in dem Haus ihrer Familie in Belgien aufgesucht, wo sie und das Kind sich nach der Entlassung aus der Geburtsklinik aufhielten. Unter zwischen den Beteiligten streitigen Umständen nahm der Kindesvater das Kind an sich und verbrachte es in die Bundesrepublik Deutschland, wo beide seither in der Wohnung seiner Eltern im Saarland lebten.
Die Kindesmutter erstattete am 31.8.2009 Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen Entführung. Gegen ihn erging ein europäischer Haftbefehl.
Im Rahmen des von der Kindesmutter beim Friedensgericht anhängig gemachten Sorgerechtsverfahren wurde auf Anordnung des Gerichts das Kind im Oktober 2009 für drei Tage der Kindesmutter zur Umgangsausübung übergeben und danach wieder vom Kindesvater abgeholt. Durch Urteil des Friedensgerichts vom 10.12.2009 wurde beiden Elternteilen die Ausübung der elterlichen Gewalt gewährt sowie der Aufenthalt des Kindes für die Zeit vom 16.12.2009 bis zum 15.3.2010 bei der Kindesmutter und danach abwechselnd für je einen Monat bei dem Kindesvater und einen Monat bei der Kindesmutter bestimmt.
Diese Regelung zur Aufenthaltsbestimmung wurde jedoch nicht umgesetzt.
Mit ihrem am 9.7.2010 beim Familiengericht in Saarbrücken eingereichten Antrag beantragte die Kindesmutter, vertreten durch das Bundesamt für Justiz als zentrale Behörde, die Rückführung des Kindes nach Belgien innerhalb einer angemessenen Frist und für den Fall, dass der Kindesvater dieser Verpflichtung nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes an sie zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Belgien beantragt. Sie hat hierzu im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kindesvater am Abend des 31.8.2009 in Begleitung seiner Mutter und seiner Schwester das Kind gegen ihren Willen an sich und nach Deutschland gebracht habe. Zuvor habe sie es abgelehnt gehabt, ohne Visum mit dem Kind zu ihm nach Deutschland zu reisen, da sie aufgrund ihres Aufenthaltsstatus Belgien nicht habe verlassen können. Sie habe bis dahin durchgehend dort gelebt.
Das AG hat die Anträge der - zum Termin persönlich nicht erschienen - Kindesmutter nach Anhörung des Kindesvaters zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich das Rechtsmittel der Kindesmutter, mit dem sie Erfolg hatte.
Entscheidung
Die von der Kindesmutter erstrebte Rückführung bzw. Herausgabe des Kindes richte sich nach dem Haager Übereinkommen vom 25.10.1980 (HKÜ). Belgien und Deutschland seien Vertragsstaaten des HKÜ. Die zu treffende Sachentscheidung sei keine Entscheidung zum Sorgerecht und beruhe auf einer summarischen Tatsachenprüfung. Dabei seien die Ermittlungen nur insoweit auszudehnen, wie es mit dem Eilcharakter des Verfahrens in Einklang zu bringen sei.
Die Entscheidung des Familiengerichts, wonach das HKÜ vorliegend nicht anwendbar sei und die Voraussetzungen einer Rückführungsanordnung gemäß Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKÜ nicht vorlägen, könne nach dem Ergebnis der Beschwerdeverhandlung keinen Bestand haben.
Nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ ordne das zuständige Gericht die sofortige Rückgabe des Kindes an, wenn das Kind i.S.v. Art. 3 HKÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden sei und bei Eingang des Antrages bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaates, in dem sich das Kind befinde, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen sei. Voraussetzung für die Anwendung des HKÜ sei - neben der hier nicht problematischen Altersgrenze des Kindes in Art. 4 S. 2 HKÜ - nach Art. 4 S. 1 HKÜ der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in einem Vertragsstaat unmittelbar vor dem ersten geltend gemachten rechtswidrigen Verhalten, also dem Beginn der Entführung über eine Grenze.
Widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht sei ein Kind, wenn es sich in einem anderen Vertragsstaat gew...