Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückführung eines entführten Kindes: Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes i.S.v. Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKÜ.
Normenkette
HKiEntÜ Art. 3; HKiEntÜ Art. 12; HKiEntÜ Art. 13
Verfahrensgang
AG Saarbrücken (Beschluss vom 20.08.2010; Aktenzeichen 40 F 320/10 HK) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der am 20.8.2010 verkündete Beschluss des AG - Familiengericht - in Saarbrücken - 40 F 320/10 HK - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Antragsgegner ist verpflichtet, das Kind H. S., geboren am ... August 2009, derzeitige Anschrift: [Straße, Nr.], [PLZ, Ort], bis zum 26.11.2010 nach Belgien zurückzuführen.
2. Kommt der Antragsgegner der Verpflichtung zu Ziff. 1) nicht nach, so ist er und jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, verpflichtet, das Kind und die in seinem Besitz befindlichen Ausweispapiere des Kindes an die Antragstellerin oder eine von dieser bestimmte Person zum Zwecke der Rückführung nach Belgien herauszugeben.
3. Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, dass das Gericht im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu Ziff. 2) gem. § 44 Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG) i.V.m. § 89 FamFG ein Ordnungsgeld i.H.v. bis zu 25.000 EUR sowie für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten anordnen kann.
4. Zum Vollzug von Ziff. 2) wird angeordnet:
a) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, das unter Ziff. 1) genannte Kind dem Antragsgegner oder jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, wegzunehmen und es der Antragstellerin oder einer von ihr bestimmten Person an Ort und Stelle zu übergeben.
b) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person und erforderlichenfalls auch gegen das Kind nach Maßgabe von § 90 Abs. 2 FamFG anzuwenden.
c) Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und zur Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners und der Wohnung jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, ermächtigt.
d) Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen auch zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen.
e) Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ermächtigt.
5. Das Jugendamt des Landkreises N. wird gem. § 9 Abs. 1 Nr. 4 IntFamRVG ersucht,
a) Vorkehrungen zur Gewährleistung der sicheren Herausgabe des unter Ziff. 1) genannten Kindes an die Antragstellerin zu treffen,
b) das Kind nach Vollstreckung der Herausgabe gegebenenfalls vorläufig bis zur Rückführung in die Obhut einer für geeignet befundenen Einrichtung oder Person zu geben.
6. Eine Vollstreckungsklausel ist nicht erforderlich.
7. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Vollstreckungskosten sowie die Rückführungskosten.
Gründe
I. Die Antragstellerin (nachfolgend: Kindesmutter) und der Antragsgegner (nachfolgend: Kindesvater) haben am ... Januar 2009 vor dem Standesamt in/Belgien die Ehe geschlossen. Aus der Ehe ist die am ... August 2009 in L. geborene, heute ein Jahr alte Tochter H. hervorgegangen. Die Kindeseltern sind im früheren Jugoslawien (Kosovo) geboren. Die Kindesmutter spricht ausschließlich albanisch und besitzt die serbische bzw. kosovarische Staatsangehörigkeit. Sie genießt in Belgien einen ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus, bezieht Sozialhilfe und ist in Belgien krankenversichert. Der Kindesvater lebt - seit über 20 Jahren - und arbeitet in Deutschland; er ist deutscher Staatsangehöriger.
Die Kindesmutter begehrt vom Kindesvater die Rückführung der gemeinsamen Tochter nach Belgien auf der Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ).
Am Abend des 31.8.2009 suchte der Kindesvater in Begleitung seiner Mutter und seiner Schwester die Kindesmutter in dem Haus ihrer Familie in L./Belgien auf, wo sie und das Kind sich nach der Entlassung aus der Geburtsklinik aufhielten. Unter zwischen den Beteiligten streitigen Umständen nahm der Kindesvater das Kind an sich und verbrachte es in die Bundesrepublik Deutschland, wo beide seither in der Wohnung seiner Eltern in N./Saar leben.
Die Kindesmutter erstattete am 31.8.2009 bei der Polizei in L. Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen Entführung. Gegen den Kindesvater erging ein europäischer Haftbefehl des AG Dendermonde/Belgien vom 28.1.2010 - 2010/005/4 -, auf Grund dessen seine Auslieferung betrieben wurde. Nachdem der Antragsgegner ggü. den Strafverfolgungsbehörden erklärte, sich dem Strafverfahren in Belgien stellen zu wollen, wurde der deutsche Durchführungshaftbefehl mit Beschluss des Saarländischen OLG vom 19.10.2010 - OLG Ausl. 23/2010 - aufgehoben.
Im Rahmen des von der Kindesmutter beim Friedensgericht in L. anhängig gemachten Sorgerech...