Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die Beschränkung der steuerlichen Entlastung von Entschädigungen für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG durch § 34 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 war mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen.
Normenkette
§ 24 Nr. 1, § 34, § 39b Abs. 3; § 52 Abs. 47 EStG 1999
Sachverhalt
Nun aber zu den Fällen. Wie in der Leitentscheidung hat auch hier das BVerfG die drei Richtervorlagen zu einer Entscheidung verbunden.
1. K im Ausgangsverfahren 2 BvL 1/03 war Arbeitnehmer. Sein Arbeitsverhältnis wurde auf Veranlassung des Arbeitgebers durch Aufhebungsvereinbarung von 24.07.1998 zum 31.03.1999 gegen Zahlung einer Abfindung i.H.v. 274 000 DM beendet. Der Arbeitgeber ermittelte die LSt im LSt-Abzugsverfahren mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz. Die Abfindung floss am 30.03.1999 zu. Das FA nahm K mit Nachforderungsbescheid in Anspruch und forderte LSt von ihm nach, weil nach der Gesetzesänderung im Jahr 1999 die Fünftelregelung anwendbar sei. Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Revision führte zum Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des BFH vom 06.11.2002, XI R 42/01 (BFH/NV 2003, 392, BFH/PR 2003, 133).
2. K im Ausgangsverfahren 2 BvL 57/06 vereinbarte am 21.10.1996 die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1998. Als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt er eine Abfindung von 231 000 DM, die vereinbarungsgemäß im Jahr 1999 ausgezahlt wurde. Das FA wandte die Fünftelregelung an. Die nach erfolgloser Klage eingelegte Revision führte zur Aussetzung von Vorlage des BFH vom 02.08.2006, XI R 30/03 (BFH/NV 2006, 2191, BFH/PR 2006, 297).
3. K des Ausgangsverfahrens 2 BvL 58/06 vereinbarte am 22.11.1998 mit seinem Arbeitgeber die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum 30.06.1999. Er sollte als Entschädigung für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung erhalten, die mit der Gehaltsabrechnung für den Monat März 1999 fällig sein sollte. Die Entschädigung wurde am 22.03.1999 ausgezahlt und vom Arbeitgeber nach dem halben durchschnittlichen Steuersatz der Steuer unterworfen. Das FA wandte die Fünftelregelung an. Nach erfolgloser Klage setzte der BFH das Revisionsverfahren aus und legte das Verfahren dem BVerfG vor (BFH, Beschluss vom 02.08.2006, XI R 34/02, BFH/NV 2006, 2184, BFH/PR 2006, 488).
Entscheidung
Das BVerfG beschloss: § 34 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 47 und § 39b Abs. 3 S. 9 i.V.m. § 52 Abs. 1 S. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 verstoßen gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und sind nichtig, soweit danach für Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG die sogenannte Fünftelregelung anstelle des zuvor geltenden halben durchschnittlichen Steuersatzes auch dann zur Anwendung kommt, wenn diese im Jahr 1998, aber noch vor der Einbringung der Neuregelung in den Deutschen Bundestag am 09.11.1998 verbindlich vereinbart und im Jahr 1999 ausgezahlt wurden, oder – unabhängig vom Zeitpunkt der Vereinbarung – noch vor der Verkündung der Neuregelung am 31.03.1999 ausgezahlt wurden.
Hinweis
1. Zunächst unterscheidet das BVerfG zwischen echter und unechter Rückwirkung. Mit seinen allgemeinen Ausführungen entspricht dieser Beschluss der Leitentscheidung 2 BvL 14/02 u.a. Auf die Besprechung in den dortigen Praxis-Hinweisen (Nrn. 1 bis 7, BFH/PR 2010, 409) wird verwiesen.
2. Es folgt – abgeleitet aus den allgemeinen Ausführungen – eine hoch differenzierte Unterscheidungsbildung, die allerdings klare Anweisungen impliziert und überzeugend ist. Das BVerfG differenziert nämlich bereits in der Entscheidungsformel danach, wann die Entschädigung vereinbart wird und wann sie zufließt. Aber worum geht es eigentlich und was ist das Problem?
3. Die ESt wird jährlich erhoben. Der progressive Verlauf des ESt-Tarifs kann zu einer Progressionsverzerrung führen, wenn Einkünfte zusammengeballt in einem Jahr zufließen, die wirtschaftlicher Ertrag mehrerer Veranlagungszeiträume sind. Die Einkünfte werden dann zu einem erheblichen Teil mit einem höheren Steuersatz belastet, als dies bei der Verteilung des Einkommens auf mehrere Veranlagungszeiträume der Fall wäre. Dieses Problem möglicher Belastungsverzerrungen will § 34 EStG lösen, indem die Steuer auf "außerordentliche" Einkünfte – dazu gehören z.B. Entschädigungen – ermäßigt besteuert werden. Bis zum Ende des Jahrs 1998 galt für die außerordentlichen Einkünfte und damit auch für Entschädigungen ein ermäßigter Tarif in Höhe der Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes. An diese Stelle setzte der Gesetzgeber des StEntlG 1999/2000/2002 die sog. Fünftelregelung. Sie wurde am 09.11.1998 in den Bundestag eingebracht und am 31.03.1999 verkündet. Nach § 52 Abs. 47 EStG sollte diese Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 gelten, bezog aber – rückwirkend – auch Entschädigungen ein, die bereits vor der Verkündung der Neuregelung vereinbart w...