Gemäß § 78a ArbGG besteht die Möglichkeit der Selbstkorrektur der Gerichte bei unanfechtbaren instanzbeendenden Entscheidungen in allen Rechtszügen, wenn der Anspruch einer Verfahrenspartei auf rechtliches Gehör verletzt wurde. Das betrifft sowohl Urteile als auch Beschlüsse.
Die Rüge ist kein Rechtsmittel, so dass demnach auch keine Belehrung des Gerichts nach § 9 Abs. 5 ArbGG erforderlich ist.
Für ein Rügeverfahren nach § 78a ArbGG müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein (§ 78a Abs. 1 ArbGG):
- Gegen eine Entscheidung des Gerichts ist ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht mehr gegeben. Zu den Rechtsbehelfen zählt auch die Nichtzulassungsbeschwerde.
- Das Gericht hat den Anspruch der die Rüge erhebenden Partei auf rechtliches Gehör verletzt.
- Diese Verletzung ist entscheidungserheblich, d.h. sie muss sich auf das Ergebnis des Urteils ausgewirkt haben: Entscheidungserheblichkeit liegt vor, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wobei die bloße Möglichkeit ausreicht.
Das Gericht ist dann bei einer Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei verpflichtet, den Prozess fortzuführen. Die Rüge ist gegen die der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung nicht statthaft, so dass in diesem Fall immer zunächst die Endentscheidung abgewartet werden muss. Endentscheidungen sind in der Regel Urteile, es können aber auch instanzbeendende oder den Beschwerderechtszug beendende Beschlüsse sein.
Die Rügefrist beträgt zwei Wochen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Betroffene von der Verletzung des rechtlichen Gehörs Kenntnis erlangt hat, § 78a Abs. 2 ArbGG. Dabei muss der Betroffene glaubhaft machen (ähnlich wie beim Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder der Wiederaufnahme), wann er von der Verletzung des rechtlichen Gehörs Kenntnis erlangt hat. Die Rüge muss spätestens ein Jahr nach Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung erhoben werden (Ausschlussfrist). Nach der Bekanntgabefiktion des § 78a Abs. 2 Satz 3 ArbGG gilt im Fall einer formlos mitgeteilten Entscheidung diese mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.
Die Rüge ist bei dem Gericht einzureichen, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rügeschrift muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und die Darlegung enthalten, inwieweit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt ist und sich diese Verletzung auf das Ergebnis des Urteils ausgewirkt hat. Dabei muss die konkrete Handlung oder Unterlassung des Gerichts genau bezeichnet sein, durch die der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sein soll. Vorwiegend dürfte es sich um Verletzungen des § 139 ZPO (Aufklärungs- und Hinweispflichten des Gerichts) handeln.
Rechtsanwälte haben seit dem 1.1.2022 die aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs zu beachten und alle Schriftsätze als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des verantwortenden Anwalts einzureichen, §§ 130a ZPO, 46c ArbGG.
Die Entscheidung des Gerichts im Fall der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Rüge ergeht durch Beschluss, der nicht anfechtbar ist, § 78a Abs. 4 ArbGG.
Ist die Rüge begründet, so hilft das Gericht ihr dergestalt ab, dass es den Prozess fortführt und zwar, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist, § 78a Abs. 5 ArbGG. Das bedeutet, dass im Fortsetzungsverfahren nur noch der Streitgegenstand erneut verhandelt wird, der von der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör betroffen ist. Entsprechend dem Verfahren nach erfolgtem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil wird der Prozess in die Lage des Verfahrens zurückversetzt, in der er sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. Das rechtliche Gehör ist dann nachzuholen. Die im Anschluss daran zu treffende Entscheidung des Gerichts ist entsprechend § 343 ZPO zu fassen, § 78a Abs. 5 ArbGG. Da im arbeitsgerichtlichen Verfahren kein Übergang des Prozesses in das schriftliche Verfahren vorgesehen ist, ist hier dann noch einmal eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts, Landes- oder Bundesarbeitsgerichts über die Rüge sind die ehrenamtlichen Richter nach § 78a Abs. 6 ArbGG hinzuzuziehen, wobei dies nicht erforderlich ist, wenn die Rüge als unzulässig verworfen wird oder es sich bei der Endentscheidung um eine Einzelentscheidung des Vorsitzenden handelt.
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann im Fall der Rüge die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der Endentscheidung nur dann angeordnet werden, wenn der Betroffene glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, § 78a Abs. 7 ArbGG.