Rz. 8
Das Gesetz unterscheidet zwischen absoluten und relativen Nichtigkeitsgründen (Art. 293 ff. ZGB). Im ersten Fall tritt die Nichtigkeit kraft Gesetzes ein, im zweiten Fall kann die Nichtigkeit durch ein Gericht erklärt werden.
a) Fälle der absoluten Nichtigkeit
Rz. 9
Das Fehlen gesetzlicher Ehevoraussetzungen bzw. die Eheschließung trotz bestehender Ehehindernisse hat grundsätzlich deren absolute Nichtigkeit zur Folge. Dies gilt ohne Einschränkung bei Fehlen der freiwilligen Einwilligungserklärung, beim Verstoß gegen das Bigamieverbot und gegen das Verbot der Verwandtenehe sowie bei einem Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Abgabe der Eheerklärung vor dem Standesbeamten. Die Ehe mit Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist grundsätzlich absolut nichtig. Erreichen jedoch beide Eheleute bis zur Rechtskraft des gerichtlichen Urteils über den Bestand der Ehe die Volljährigkeit, hat die Ehe Bestand; Gleiches gilt, wenn die Ehefrau bis zu diesem Zeitpunkt gebiert oder schwanger wird.
Rz. 10
Ebenfalls als von Beginn an nichtig anzusehen ist die Scheinehe. Darunter wird eine Ehe verstanden, die zu anderen Zwecken geschlossen wird als dem, eine Familie zu gründen (Art. 295 ZGB). Auch dieser Nichtigkeitsgrund wird jedoch geheilt, wenn die Eheleute bis zur Rechtskraft des gerichtlichen Urteils über den Bestand der Ehe in ehelicher Gemeinschaft zusammenleben oder die Ehefrau bis zu diesem Zeitpunkt gebiert oder schwanger wird.
b) Fälle der relativen Nichtigkeit
Rz. 11
Das Gesetz sieht grundsätzlich vier Gründe der relativen Nichtigkeit vor, nämlich
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das Fehlen von erforderlichen Bescheinigungen bzw. Einwilligungen, |
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das Vorliegen eines Irrtums, einer Drohung oder einer arglistigen Täuschung, |
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die zeitweilige Geschäftsunfähigkeit des Ehegatten sowie |
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die Ehe zwischen Vormund und Mündel. |
Rz. 12
Im ersten Fall kann nur diejenige Person, deren Einwilligung nicht vorliegt, die Aufhebung der Ehe beantragen. Im zweiten Fall kann die Aufhebung nur von dem Ehegatten beantragt werden, der sich bei der Eheschließung in einem der genannten Fälle befand. Die Verjährungsfrist beträgt für alle Fälle sechs Monate.
Rz. 13
Die Nichtigkeitsgründe können geheilt werden, wenn bis zur Rechtskraft des Urteils alle gesetzlich vorgesehenen Genehmigungen eingeholt wurden bzw. wenn die Eheleute die Ehe sechs Monate lang nach Erlöschen des Irrtums/der Drohung weitergeführt haben. Auch allgemein wird die Nichtigkeit als geheilt betrachtet, sofern die Ehegatten bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts volljährig wurden oder wenn die Ehefrau bis dahin gebiert oder schwanger wird.
c) Folgen der Nichtigkeit oder Aufhebung der Ehe
Rz. 14
Die Nichtigkeit oder die Aufhebung der Ehe können nur durch gerichtliches Urteil festgestellt bzw. erklärt werden.
Hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen den Ehegatten differenziert das Gesetz nicht danach, ob ein absoluter oder ein relativer Nichtigkeitsgrund vorliegt, sondern unterscheidet nach dem Kriterium der Gutgläubigkeit der Eheleute (Art. 304 ZGB). Danach wird der gutgläubige Ehegatte bis zum Zeitpunkt einer rechtskräftigen Entscheidung des zuständigen Gerichts über die Nichtigkeit bzw. Auflösung der Ehe so gestellt, als sei die Ehe wirksam gewesen. Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten auch im Falle der Nichtigkeit bzw. der Auflösung einer Ehe wegen des Vorliegens eines relativen Nichtigkeitsgrundes die Bestimmungen entsprechend, die auch im Falle einer Scheidung anzuwenden wären.
Rz. 15
Die Nichtigkeit oder die Aufhebung der Ehe entfalten jedoch keine Rechtsfolgen in Bezug auf die Kinder, da diese kraft Gesetzes die Stellung ehelicher Kinder behalten. Die Rechte und Pflichten zwischen den Eltern und Kindern bestimmen sich in diesem Fall nach den Vorschriften, die auch im Falle der Ehescheidung anzuwenden wären.
Rz. 16
Das Urteil über die Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe kann Dritten entgegengehalten werden unter Befolgung der Vorschriften, die auf die Publizität der Güterstandsvereinbarungen Anwendung finden. Dritten, die einen Vertrag mit dem Ehegatten vor der Nichtigerklärung der Ehe abgeschlossen haben, kann das Urteil nicht entgegengehalten werden, außer wenn die Publizität der Klage auf Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe ordnungsgemäß erfolgte oder falls diese nachweislich in anderer Weise und bereits vor dem Abschluss des Vertrages Kenntnis über den Grund der Nichtigkeit oder Aufhebbarkeit erlangt hatten (Art. 306 ZGB).