Leitsatz (amtlich)
1. Zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei schenkweisere Zuwendung der Todesfallleistung aus einem Lebensversicherungsvertrag über ein widerrufliches Bezugsrecht (im Anschluss an BGH, Urteil vom 28. April 2010 - IV ZR 73/08, BGHZ 185, 252 = VersR 2010, 895).
2. Für die Anwendung dieser Grundsätze macht es keinen Unterschied, ob es sich bei dem Versicherungsvertrag um eine Risiko-Lebensversicherung handelt, die nur im Todesfall Leistungen an den Bezugsberechtigten erbringt, oder ob der Vertrag auch eine Leistung im Erlebensfall vorsah.
Normenkette
BGB § 2325; VVG §§ 159, 169
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Beschluss vom 30.06.2022; Aktenzeichen 16 O 158/21) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 8. Juli 2022 gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 30. Juni 2022 - 16 O 158/21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Antragstellerin beabsichtigt, gegenüber der Antragsgegnerin klagweise Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend zu machen. Sie ist das einzige Kind des am 1. Dezember 1957 geborenen und am 13. Mai 2017 verstorbenen V. W. B. (im Folgenden: Erblasser), die Antragsgegnerin ist dessen zweite Ehefrau, sie wurde durch letztwillige Verfügung vom 12. März 2017 zur alleinigen Erbin eingesetzt. Nach dem Tode forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zunächst unter Fristsetzung auf den 15. April 2019 zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses und zur Auszahlung des Pflichtteiles auf (Bl. 12 GA). In der Folge wurde ein notarielles Nachlassverzeichnis (UR Nr. 817/2020B des Notars Dr. J. W. B., V., Bl. 25 ff. GA) angefertigt, das als Aktiva u.a. Bankguthaben in Höhe von insgesamt 4.907,97 Euro und ein fremdfinanziertes Fahrzeug ausweist, die Passiva mit 9.048,59 Euro beziffert und unter dem Oberbegriff "Forderungen" den Hinweis auf eine "Risiko-Lebensversicherung Nr. 10110711405884" bei der E. V. Lebensversicherung AG enthält, aus der die Beklagte auf die Todesfallsumme in Höhe von 50.000,- Euro bezugsberechtigt gewesen sei. Der Versicherungsschein zu diesem Vertrag wurde nicht vorgelegt, statt dessen der vom Erblasser unter dem 25. Mai 2010 unterzeichnete Antrag zur vorgenannten Versicherungsnummer im Tarif RISIKO-LEBEN - Tarif M6 (Bl. 97 ff. GA), die Versicherungsbedingungen dieses Tarifs (Bl. 73 ff. GA) sowie zwei Schreiben des Versicherers, aus denen hervorgeht, dass es sich bei dem Vertrag um eine "reine Risikoversicherung" gehandelt habe und ein Rückkaufswert zum Zeitpunkt des Todes nicht vorhanden gewesen sei (Bl. 71, 72 GA).
Die Antragstellerin, die sich Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche in Höhe von 1/4 aus der Summe von 53.569,29 Euro errechnet, meint, es müsse neben einem Aktivnachlass in Höhe von 5.824,49 Euro und Passiva in Höhe von 8.048,59 Euro (Bl. 8 GA) auch ein fiktiver weiterer Nachlass in Höhe von 55.793,39 Euro berücksichtigt werden, der sich aus der als Schenkung zugunsten der Antragsgegnerin anzusehenden Lebensversicherungssumme über 50.000,- Euro sowie weiteren, in Ziffer B. II. des Nachlassverzeichnisses aufgeführten unentgeltlichen Verfügungen über insgesamt 5.793,39 Euro zusammensetze. Die Lebensversicherung müsse mit ihrer Versicherungssumme bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches Berücksichtigung finden (Bl. 8, 44 G). Selbst für den Fall, dass es sich um eine reine Risikoversicherung gehandelt habe, worauf trotz unterlassener Vorlage des Versicherungsscheines durch die Antragsgegnerin "einiges" hindeute (Bl. 110 GA), habe die Antragsgegnerin von der Versicherung erheblich profitiert und hätten zumindest die monatlichen Raten den Nachlass geschmälert. Die Antragsgegnerin ist dem Begehren unter Hinweis auf die von der neueren Rechtsprechung vertretenen Grundsätze zur Bewertung von Lebensversicherungen im Pflichtteilsrecht entgegengetreten: der Erblasser habe die "reine Risikoversicherung" abgeschlossen, um ihr eine gewisse Absicherung im Falle seines Vorversterbens zu gewähren, diese habe bis zum Eintritt des Leistungsfalles keinen Liquidationswert aufgewiesen (Bl. 38 GA). Der Versicherungsschein, der im Leistungsfall vorgelegt werden müsse, sei nicht mehr vorhanden, der Versicherer habe ihr diesen Sachverhalt aber wiederholt schriftlich bestätigt (Bl. 71, 72 GA). Auch den anderen Zuwendungen hätten Gegenleistungen ihrerseits gegenübergestanden.
Mit dem angefochtenen Beschluss (Beiheft) hat das Landgericht der Antragstellerin ratenfreie Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung eines Betrages in Höhe von 521,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. April 2019 sowie außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Gebühr aus einem Wert von 521,76 Euro zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer gewährt; den weitergehenden Antrag hat es zurückgewiesen. Ausgehend von Nachlassaktiva in Höhe von 4.907,97 Euro und Passiva in Höhe von 9.048,52 Euro hat es die Notwendigkeit gesehen, ü...