Leitsatz (amtlich)
Anlass für die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens im Hinblick auf § 64 StGB im Zusammenhang mit dem Konsum von Betäubungsmitteln besteht nur, wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen Hang im Sinne der Vorschrift vorliegen, die als Anknüpfungspunkte für einen Sachverständigen dienen können. Der bloße Verdacht auf Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Hinweise auf deren Konsum reichen hierfür jedenfalls bei einem gegenüber den Ermittlungsbehörden schweigenden Beschuldigten regelmäßig nicht aus. Bei einer solchen Sachlage muss auch das Gericht nicht im Sinne des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erwägen.
Normenkette
StPO §§ 112, 246a Abs. 1 S. 2, § 304; StGB §§ 21, 64
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Entscheidung vom 20.05.2022; Aktenzeichen 4 KLs 18/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten vom 29.06.2022 gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 04.01.2022 (8 Gs 20/22) in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Saarbrücken vom 20.05.2022 (4 KLs 18/22) wird kostenpflichtig als unbegründet
v e r w o r f e n .
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde am 3. Januar 2022 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 4. Januar 2022 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Saarbrücken von diesem Tage. In diesem Haftbefehl wird dem Angeklagten ein Verbrechen des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen. Wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Haftbefehl und die Anklageschrift vom 07.04.2022 (Bl. 313 ff. d.A.) Bezug genommen. Die 4. Große Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken hat mit Beschluss vom 20. Mai 2022 diese Anklage zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und hinsichtlich beider Angeklagter die Haftfortdauer angeordnet. Am 10. Juni 2022 hat die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten begonnen; diese dauert weiter an.
In der Sitzung vom 29. Juni 2022 hat der Verteidiger des Angeklagten Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. In dieser Sitzung - dem dritten Termin zur Hauptverhandlung - hat sich der Angeklagte - wie auch der Mitangeklagte K. - erstmals eingelassen und insbesondere Angaben zu seinem Betäubungsmittelkonsum gemacht. Beide Angeklagte haben sich bereit erklärt, aktiv an einer Exploration mitzuwirken und die sie behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden. Daraufhin wurden weitere Hauptverhandlungstermine bis zum 06.09.2022 vereinbart und die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens "zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 21, 64 StGB" beschlossen. Zur Sachverständigen wurde Frau Dr. R. bestellt, die das Gutachten nach Rücksprache mit ihrem Büro im Hauptverhandlungstermin vom 17.08.2022 erstatten soll. Mit der Beschwerde macht der Verteidiger insbesondere geltend, ein solches Gutachten habe bereits früher eingeholt werden müssen, weil Anhaltspunkte für eine Rauschmittelabhängigkeit des Angeklagten schon zuvor bestanden hätten. Mit ähnlicher Argumentation in Bezug auf seinen Mandanten hat der Verteidiger des Mitangeklagten - erfolglos - die Aufhebung des diesen betreffenden Haftbefehls beantragt. Das Landgericht hat der Haftbeschwerde mit Beschluss vom 30.06.2022 unter näheren Ausführungen nicht abgeholfen. II.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Der Angeklagte ist der ihm vorgeworfenen Tat weiterhin dringend verdächtig.
a) Nach ständiger, vom Senat geteilter höchstrichterlicher Rechtsprechung unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während der Hauptverhandlung vornimmt, nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 368; Beschlüsse vom 05.02.2015 - StB 1/15 - und 14.01.2021 - StB 49/20 -, jew. m.w.N., juris; Beschlüsse des 1. Strafsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 25. September 2013 - 1 Ws 192/13 - und 11. Februar 2021 - 1 Ws 41/21 -, jew. m.w.N.; Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2021 - 4 Ws 164/21 -). Denn bei Haftentscheidungen in oder am Ende einer Hauptverhandlung bildet - anders als im Ermittlungsverfahren - nicht der Akteninhalt, sondern das (vorläufige) Ergebnis der Beweisaufnahme die für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts maßgebliche Tatsachengrundlage. Zur Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme ist aus eigener Anschauung aber allein das Gericht in der Lage, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet. Nur das Tatgericht vermag auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder nicht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Beg...