Leitsatz (amtlich)

Die Anordnung, dass der Angeklagte während der Dauer der Hauptverhandlung an den Füßen gefesselt bleibt, kann sowohl auf § 176 GVG als auch auf § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO gestützt werden.

Wird eine solche Fesselungsanordnung nur auf § 176 GVG gestützt, ist die hiergegen gerichtete Beschwerde unstatthaft, da sitzungspolizeiliche Maßnahmen grundsätzlich nicht, sondern nur dann mit der Beschwerde angefochten werden können, wenn ihnen eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden.

 

Normenkette

StPO §§ 304, 231 Abs. 1 S. 2; GVG § 176

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Aktenzeichen 3 Ks 4/15)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten vom 10. Februar 2016 gegen die Anordnungen des Vorsitzenden der Jugendkammer I als Schwurgericht des Landgerichts Saarbrücken vom 27. Januar und 2. Februar 2016, dass der Angeklagte auch während der Sitzung an den Füßen gefesselt bleibt, wird auf Kosten des Angeklagten als unzulässig v e r w o r f e n.

 

Gründe

I.

In dem gegen den Angeklagten und einen jugendlichen Mitangeklagten wegen des Vorwurfs des gemeinschaftlichen Mordes anhängigen Strafverfahren findet derzeit seit dem 27.01.2016 vor der Jugendkammer I als Schwurgericht des Landgerichts Saarbrücken die Hauptverhandlung statt.

Am 27.01.2016 und am 02.02.2016 hat der Vorsitzende jeweils mündlich angeordnet, dass der Angeklagte auch während der Sitzung an den Füßen gefesselt bleibt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der von seinem Verteidiger mit Schriftsatz vom 10. Februar 2016 eingelegten Beschwerde, der der Vorsitzende nicht abgeholfen hat. Zur Begründung der Nichtabhilfeentscheidung hat der Vorsitzende in seinem Vermerk vom 25. Februar 2016 im Wesentlichen ausgeführt, dass bei dem bereits wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilten Angeklagten angesichts der Tatausführung von einem hohen, durch seine Äußerungen im Rahmen der Haftraumüberwachung - dort sei die Rede davon, dass Personen umgebracht werden sollen (u. a. der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft) oder jemandem Leid zugefügt werden soll (z. B. dem Kind eines Zeugen und dem Kind des Staatsanwalts) - belegten Gewaltpotential, einer deutlich erhöhten Aggressivität sowie einer fehlenden Impulskontrolle auszugehen sei, so dass eine Fesselung erforderlich sei, wobei die bloße Fesselung der Füße den Angeklagten vergleichsweise wenig beeinträchtige.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Angeklagten gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden der Jugendkammer I vom 27. Januar und 2. Februar 2016 als unbegründet zu verwerfen, "soweit sie auf § 231 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützt ist."

II.

Die Beschwerde ist unzulässig, da sie bereits nicht statthaft ist.

1. Die angefochtene Maßnahme des Kammervorsitzenden stellt eine im Rahmen der Ausübung seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse gemäß § 176 GVG ergangene Anordnung dar.

a) Die Sitzungspolizei umfasst alle Befugnisse und Maßnahmen, die erforderlich sind, um - letztlich im Interesse der Wahrheitsfindung - den äußeren ungestörten Verlauf der Sitzung zu sichern (vgl. BGHSt 44, 23, 24; Löwe-Rosenberg/Wickern, StPO, 26. Aufl., § 176 GVG Rn. 1 f.; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 176 GVG Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 176 GVG Rn. 4). Hierzu gehört auch der Schutz von Verfahrensbeteiligten vor grob verfahrenswidrigen Angriffen (vgl. BGHSt 44, 23, 24; Löwe-Rosenberg/Wickern, a. a. O., § 176 GVG Rn. 18; Meyer- Goßner/Schmitt, a. a. O., § 176 GVG Rn. 10). Diesem Ziel diente ersichtlich die hier von dem Kammervorsitzenden getroffene Maßnahme. Denn mit der Anordnung, dass der Angeklagte auch während der Sitzung an den Füßen gefesselt bleibt, wollte der Vorsitzende dem von ihm angenommenen hohen Gewaltpotential, der deutlich erhöhten Aggressivität und der fehlenden Impulskontrolle des Angeklagten Rechnung tragen, um auf diese Weise die übrigen Verfahrensbeteiligten vor körperlichen Angriffen durch den Angeklagten während der Durchführung der Hauptverhandlung zu schützen.

b) Zwar kann eine Fesselungsanordnung durch den Vorsitzenden nicht nur auf § 176 GVG, sondern auch auf § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO gestützt werden (vgl. BGH NJW 1957, 271; OLG Dresden NStZ 2007, 479 f. - juris Rn. 1, 3; Senatsbeschluss vom 9. Januar 2012 - 1 Ws 11/12, 1 Ws 14/12 -; OLG Hamm, Beschl. v. 09.01.2014 - III-5 RVs 134/13, juris Rn. 7; Löwe-Rosenberg/Becker, a. a. O., § 231 Rn. 3; KK-Gmel, a. a. O., § 231 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 231 Rn. 2) mit der Folge, dass sie dann nach § 304 Abs. 1 StPO mit der Beschwerde anfechtbar ist (vgl. OLG Dresden, a. a. O.; vorgenannter Senatsbeschluss; Löwe-Rosenberg/Becker, a. a. O., § 231 Rn. 41; KK-Gmel, a. a. O., § 231 Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 231 Rn. 24). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Maßnahme zumindest auch dem Zweck dien...

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