Leitsatz (amtlich)
1. Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs.7 StPO kann nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil bereits als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat.
2. Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 7 StPO kann nicht auf neue Beweismittel füt Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil bereits als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat.
3. Die Vorlage eines Attestes entschuldigt die Säumnis des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nur dann in ausreichender Weise, wenn sich aus dem Attest körperliche oder geistige Beeinträchtigungen ergeben, die eine Teilnahme an der Verhandlung unzumutbar machen.
Normenkette
StPO § 329 Abs. 7
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Entscheidung vom 08.02.2023; Aktenzeichen 12 Ns 36/22) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Angeklagten gegen die Beschlüsse des Landgerichts Saarbrücken vom 06. Dezember 2022 und vom 08. Februar 2023 werden kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 23. Februar 2022 wegen Beleidigung in fünf Fällen in Tatmehrheit mit Bedrohung in sieben Fällen in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Saarbrücken durch Urteil vom 21. November 2022 nach § 329 Abs. 1 StPO, da es eine Mitteilung des Angeklagten vom 18. November 2022, er könne den Berufungshauptverhandlungstermin nicht wahrnehmen, da er sich "in Bereitschaft zur Aufnahme in die psychiatrische Klinik" befinde und nicht reisefähig sei, sowie die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Verteidiger im Hauptverhandlungstermin nicht als ausreichende Entschuldigung ansah.
Nach der am 22. November 2022 erfolgten Urteilszustellung an den Verteidiger legte der Angeklagte selbst mit einfacher E-Mail vom 29. November 2022 "Beschwerde" gegen das Urteil ein und beantragte unter Beifügung eines am selben Tag ausgestellten ärztlichen Attestes als Anhang der E-Mail "Rückversetzung in den vorherigen Stand" und "hilfsweise Revision". Am 30. November 2022 beantragte der Verteidiger für den Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 21. November 2022 und legte zugleich für den Fall der Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags Revision ein.
Die als einheitlichen Antrag gewerteten Anträge des Angeklagten und seines Verteidigers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwarf das Landgericht durch Beschluss vom 06. Dezember 2022 mit der Begründung als unzulässig, dem Antrag des Angeklagten selbst vom 29. November 2022 fehle es an der erforderlichen Schriftform, und der Antrag des Verteidigers vom 30. November 2022 sei nicht fristgerecht gestellt worden.
Gegen den ihm noch am selben Tag zugestellten Beschluss vom 06. Dezember 2022 legte der Verteidiger am 07. Dezember 2022 sofortige Beschwerde ein. In einem per E-Mail am 09. Dezember 2022 eingegangenen "Nachtrag zur Beschwerde" wendet der Angeklagte sich unter Bezugnahme auf seine "Beschwerde" vom 29. November 2022 gegen die Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrags als formunwirksam. Er meint, das Gericht habe keinen Anlass gehabt, an der Urheberschaft seiner E-Mail zu zweifeln. Im Übrigen verweist er darauf, dass die rechtzeitige Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags durch seinen Verteidiger deshalb nicht möglich gewesen sei, weil er selbst das mit diesem Antrag vorgelegte ärztliche Attest erst am 29. November 2022 gegen 19 Uhr von seiner behandelnden Ärztin erhalten habe, da die Praxis vom 21. November 2022 bis einschließlich 28. November 2022 geschlossen gewesen sei. Die Vorlage eines Attestes eines anderen Arztes sei nicht möglich gewesen, da nur die behandelnde Ärztin über die Krankenakte verfügt habe. Er habe das Attest umgehend an das Gericht und seinen Verteidiger übersandt, dessen Büro jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen gewesen sei.
Nach Vorlage der Sache zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde durch das Landgericht stellte der Senat durch Beschluss vom 24. Januar 2023 fest, dass eine Entscheidung des Senats zunächst nicht veranlasst und eine Rückgabe der Sache an das Landgericht veranlasst war, da in dem Sachvortrag des Angeklagten, zu einer rechtzeitigen Weiterleitung des ärztlichen Attestes an seinen Verteidiger nicht in der Lage gewesen zu sein, der konkludente, durch das Berufungsgericht zu bescheidende Antrag liegt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nach § 329 Abs. 7 StPO zu gewähren.
Das Landgericht hat den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist nach § 329 Abs. 7 StPO durch Beschluss vom 08. Februar 2023 als unzulässig verworfen. Nach der am 14. Februar 2023 erfolgten Zustellung dieses Beschlusses an den Verteidiger hat dieser am 21. Febru...