Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren. Absehen vom Regelfahrverbot wegen Teilnahme an einem Aufbauseminar
Leitsatz (amtlich)
Von der Verhängung eines Regelfahrverbots kann allein aufgrund der freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht abgesehen werden. Dies ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn neben dem Seminarbesuch zusätzlich eine Vielzahl anderer, vom Tatrichter festzustellender Gesichtspunkte zu Gunsten des Täters spricht.
Verfahrensgang
AG St. Ingbert (Entscheidung vom 14.11.2012) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 14. November 2012 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen a u f g e h o b e n und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht St. Ingbert z u r ü c k v e r w i e s e n.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des erforderlichen Abstands zu einem vorausfahrenden Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h eine Geldbuße in Höhe von 500,-- Euro festgesetzt; von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen.
Nach den Urteilsfeststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ist dieser Vertriebsleiter im Außendienst und erzielt regelmäßige Einkünfte. Er ist mit drei Voreintragungen wegen Abstandsunterschreitung (Bußgeldbescheid vom 06.05.2008) und Geschwindigkeitsüberschreitung (Bußgeldbescheid vom 04.08.2009 sowie Entscheidung des Amtsgerichts Saarbrücken vom 01.03.2011) vorbelastet, wobei mit der letztgenannten Entscheidung zugleich ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet wurde.
Das Absehen von der Verhängung des noch im Bußgeldbescheid gemäß § 4 Abs. 1 BKatV festgesetzten einmonatigen Fahrverbotes hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
"Es liegen besondere Umstände vor, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion des Fahrverbotes nicht bedarf und der nötige Warneffekt durch Verhängung einer erhöhten Geldbuße erreicht werden kann:
Das Fahrverbot würde den Betroffenen als Vertriebsleiter in seiner Erwerbstätigkeit hart treffen.
Zwar haben Umstände, wie eine hohe jährliche Fahrleistung, das besondere geschäftliche oder berufliche Angewiesensein auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs, eine langjährige unfallfreie Fahrpraxis, das Fehlen von Voreintragungen im Verkehrszentralregister weder für sich noch in ihrem Zusammentreffen ein ausreichendes Gewicht, um ein Absehen von einem Regelfahrverbot rechtfertigen zu können (...). Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger angemessener Erhöhung der Geldbuße kommt jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Betracht, wenn das Fahrverbot für den Betroffenen Härten ganz außergewöhnlicher Art nach sich ziehen würde. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Betroffene infolge des Fahrverbots seinen Arbeitsplatz verlieren oder als Selbstständiger in eine vergleichbare wirtschaftlich existenzbedrohende Situation geraten würde (...). Der Betroffene ist als Außendienstler besonders auf sein Fahrzeug angewiesen. Ein Fahrverbot kann er nicht durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kompensieren.
Die letzte Verurteilung des Betroffenen, die zu einem Fahrverbot geführt hat, lag etwas mehr als ein Jahr vor der neuerlichen Tat. Den Hinweis der Verwaltungsbehörde auf die Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar ... ist der Betroffene im September und Oktober 2012 nachgekommen. Gegen Erhöhung der Geldbuße auf das höchstmögliche Maß nach § 17 Abs. 1 und 2 OWiG ist die Warn- und Denkzettelfunktion des Fahrverbots hier ausnahmsweise nicht mehr erforderlich. Unter dieser Voraussetzung wird der Betroffene das Absehen vom Fahrverbot nicht als Freibrief für weitere Verstöße missverstehen (...)."
Die in der Hauptverhandlung nicht vertretene Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil mit am 23. November 2012 bei Gericht eingegangenem Telefaxschreiben vom selben Tag Rechtsbeschwerde eingelegt, nachdem ihr das gemäß § 77 b Abs. 1 S. 1, 2 HS 1 OWiG zunächst ohne Gründe abgefasste schriftliche Urteil am 21. November 2012 zugestellt worden war. Nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils am 14. Dezember 2012 begründete sie das Rechtsmittel mit am 2. Januar 2013 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 18. Dezember 2012. Unter Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts insoweit, als auf die Verhängung eines Fahrverbots verzichtet wurde. Sie ist der Auffassung, dass die im Urteil dargelegten Gründe ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots nicht rechtfertigten.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde angeschlossen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist (vgl. hierzu Göhler-Seitz...