Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichtherausgabe Beschilderungsplan und verkehrsrechtlichen Anordnung
Verfahrensgang
AG St. Ingbert (Entscheidung vom 07.05.2021; Aktenzeichen 21 OWi 3952/20) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 07. Mai 2021 wird zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 07. Mai 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht St. Ingbert zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 07. Mai 2021 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft von 100 km/h um 26 km/h eine Geldbuße in Höhe von 80,- Euro festgesetzt. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Betroffenen mit am 12. Mai 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils an ihn am 10. Juni 2021 hat er die Rechtsbeschwerde mit am 07. Juli 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz mit der Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung sowie der unausgeführten Sachrüge begründet.
II.
Der form- und fristgerecht eingelegte sowie bereits mit der unausgeführten Sachrüge wirksam begründete, mithin zulässige Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 80 Abs. 3 Satz 1 und 3, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO) hat in der Sache (vorläufig) Erfolg.
1. Der Verteidiger rügt in einer jedenfalls hinsichtlich seines Begehrens auf Herausgabe des Beschilderungsplans und der die Geschwindigkeitsbeschränkung zu Grunde liegenden verkehrsrechtlichen Anordnung den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise eine unzulässige Versagung rechtlichen Gehörs, die er darin erblickt, dass von ihm gestellten Anträgen auf Überlassung der gesamten Messreihe, der der Messung zu Grunde liegenden verkehrsrechtlichen Anordnung sowie des Beschilderungsplans nicht stattgegeben worden ist.
2. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Nach der am 18. Dezember 2020 erfolgten Vorlage der Akte beim Amtsgericht St. Ingbert nach § 69 Abs. 3 OWiG hatte der Verteidiger zunächst mit Schriftsatz vom 19. März 2021 bei der Verwaltungsbehörde die Überlassung der Falldaten der gesamten Messreihe, der verkehrsrechtlichen Anordnung und des Beschilderungsplans beantragt. Nachdem auf diesen Schriftsatz keine Reaktion erfolgte, hatte er mit Schriftsatz vom 15. April 2021 einen entsprechenden Antrag beim Amtsgericht gestellt, den das Gericht mit Schreiben vom 20. April 2021 mit der Begründung ablehnte, dass ein Anspruch auf Überlassung der gesamten Messserie nicht bestehe und die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung durch das Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert sei, so dass es der Überlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht bedürfe. Im Hauptverhandlungstermin vom 07. Mai 2021 wiederholte der Verteidiger seinen Antrag und beantragte zugleich, die Hauptverhandlung auszusetzen, bis ihm die beantragten Unterlagen zur Verfügung stehen und er Gelegenheit hatte, diese überprüfen zu lassen. Das Amtsgericht lehnte eine Aussetzung des Verfahrens ab.
3. Jedenfalls darin, dass dem Verteidiger der Beschilderungsplan und die verkehrsrechtliche Anordnung nicht zur Verfügung gestellt worden sind, liegt eine unzulässige Versagung rechtlichen Gehörs.
a) Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris; vgl. auch VerfGH des Saarlandes, Beschluss vom 27. April 2018 - Lv 1/18) gibt es auch im Bußgeldverfahren ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht des Einzelnen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbst wahrzunehmen und Übergriffe der rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen angemessen abzuwehren. Der Betroffene darf nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, vielmehr muss ihm die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (BVerfG a.a.O.; BVerfGE 65, 171, 174; VerfGH des Saarlandes a.a.O.). Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordert eine "Waffengleichheit" zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Betroffenen andererseits (BVerfG a.a.O.; VerfGH des Saarlandes a.a.O.). Der Betroffene hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen kann (BVerfG a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 110, 226, 253). Ihm muss Zugang zu den Quellen der Sachverhaltsfeststel...