Leitsatz (amtlich)
Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung die Beiziehung des Beschilderungsplans und der verwaltungsbehördlichen Anordnung im Regelfall nicht.
Verfahrensgang
AG Grünstadt (Entscheidung vom 22.06.2021; Aktenzeichen 8 OWi 5987 Js 12728/20) |
Tenor
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Grünstadt vom 22.06.2021 wird als unbegründet verworfen.
- Dem Beschwerdeführer werden die Kosten seines Rechtsmittels auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h zu einer Geldbuße von 500,-- EUR verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der auf die Verletzung förmlichen und materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde.
Der Einzelrichter des Senats hatte mit Beschluss vom 18.07.2022 das Rechtsmittel als unbegründet verworfen. Auf den am 25.07.2022 beim Senat eingegangenen Antrag des Betroffenen hat der Einzelrichter mit Beschluss vom 26.07.2022 den Beschluss aufgehoben und das Verfahren gem. § 356a StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG in den Stand vor der Entscheidung zurückversetzt, weil versehentlich der bereits am 14.07.2022 bei der Geschäftsstelle des Senats eingegangene Schriftsatz der Verteidigerin vor der Entscheidung nicht zur Akte gelangt gewesen und daher bei der Entscheidung unberücksichtigt geblieben war. Mit diesem Schriftsatz hatte die Verteidigerin einen Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts (vom 13.07.2022 - SsRs 30/21) vorgelegt. Der Einzelrichter hat im Hinblick auf die vorgelegte Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts die Sache sodann gem. § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung an den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
1.
Das Verfahren ist nicht wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen. An der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides bestehen auch unter Beachtung des Umstandes einer elektronischen Aktenführung durch die Verwaltungsbehörde keine Zweifel. Der Senat folgt (weiterhin) der Rechtsauffassung des OLG Koblenz (Beschluss vom 17.07.2018 - 1 OWi 6 SsBs 19/18, juris Rn. 6 ff.), wonach die Verwaltungsbehörde spätestens mit vollständigem Ausdruck der gespeicherten Verfahrensunterlagen zu einer Aktenführung in Papierform übergegangen ist. Die Ausdrucke bilden eine ausreichende Grundlage des weiteren Verwaltungs- und des gerichtlichen Verfahrens. Der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 19.11.2019 (VGH B 24/19, juris) kann ebenso wie der mittlerweile in Kraft getretenen LVO über die elektronische Aktenführung in behördlichen Bußgeldverfahren der Zentralen Bußgeldstelle vom 06.05.2021 (GVBl. RP 2021, 282) nichts Gegenteiliges entnommen werden (Senat, Beschluss vom 10.03.2022 - 1 OWi 2 SsRs 107/21, juris Rn. 6). Der Verfassungsgerichtshof hat nunmehr auch ausdrücklich klargestellt, dass diese Verfahrensweise jedenfalls nicht gegen das Willkürverbot verstößt (Beschluss vom 22.07.2022 - VGH B 30/21, Rn 44).
2.
Die erhobenen Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch.
a) Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verwertbarkeit der Messung nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass das verwendete Messgerät einzelne Weg-/Zeitstempel bzw. "Rohmessdaten" nicht speichert (u.a. Senat, Beschluss vom 01.12.2021 - 1 OWi 2 SsBs 100/21, juris Rn. 17; s.a. OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.06.2022 - 3 Ss-OWi 476/22, juris Rn. 10 ff.). Hieran hält er, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 22.07.2022 - VGH B 30/21), auch weiterhin fest.
b) Die Verweigerung der Herausgabe von nicht bei den Akten befindlicher Unterlagen und Daten berührt den Grundsatz eines fairen Verfahrens nur dann, wenn diesen eine Relevanz für die Verteidigung des Betroffenen nicht oder jedenfalls nicht sicher abgesprochen werden kann. Den Daten "der gesamten Messreihe" kommt - jedenfalls nach derzeitigem Kenntnisstand - eine potentielle Relevanz für die Verteidigung des Betroffenen gegen den ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß nicht zu (Senat, Beschluss vom 02.06.2022 - 1 OWi 2 SsRs 19/21, juris). Die potentielle Beweisbedeutung von Informationen und Daten stellt eine Tatsachenfrage dar (BGH, Beschluss vom 30.03.2022 - 4 StR 181/21, juris Rn. 11). Die von Seiten der Verteidigung in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einzelaspekte lassen eine Relevanz der Falldatensätze der gesamten Messreihe für die Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Messung nicht als zumindest möglich erscheinen; der Senat hat sich mit diesen Gesichtspunkten bereits befasst (vgl. Beschluss vom 27.10.2020 - 1 OWi 2 SsBs103/20, juris Rn. 17).
c) Entsprechendes gilt hinsichtlich des Beschilderungsplans und der verkehrsrechtlichen Anordnung.
aa) Insoweit hat der Tatrichter in dem auf Antrag nach § 62 Abs. 1 OWiG ergang...