Leitsatz (amtlich)
1. An den gewählten Verteidiger kann auch dann wirksam zugestellt werden, wenn sich dessen Vollmacht nicht bei den Akten befindet, ihm aber vor Ausführung der Zustellung eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden war.
2. Der Nachweis einer solchen rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht kann auch dann erbracht sein, wenn der Verurteilte dem Wahlverteidiger in einer anderen Strafsache eine Strafprozessvollmacht erteilt hat, die diesen ausdrücklich auch zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigte, und ihn kurze Zeit später in der in Rede stehenden Sache mündlich mit der Verteidigung beauftragt hat.
Normenkette
StPO § 145a Abs. 1
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Entscheidung vom 02.03.2016; Aktenzeichen 3 BRs 9/12) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 12. März 2016 gegen den Beschluss der Jugendkammer I des Landgerichts Saarbrücken vom 2. März 2016 wird kostenpflichtig als unzulässig
v e r w o r f e n.
Gründe
I.
Durch Beschluss vom 2. März 2016 hat die Jugendkammer I des Landgerichts Saarbrücken die dem Verurteilten mit ihrem Urteil vom 24. Februar 2012 (Az.: 3 Ns 4/12) hinsichtlich der dort verhängten Jugendstrafe von zwei Jahren gewährte Strafaussetzung widerrufen. Der Beschluss ist dem Wahlverteidiger des Verurteilten - dieser hatte im Widerrufsverfahren mit Schriftsatz vom 19. Januar 2016 angezeigt, von dem Verurteilten mit dessen Verteidigung beauftragt worden zu sein, aber keine Vollmachtsurkunde zur Akte gereicht - am 07.03.2016 zugestellt worden.
Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit von ihm selbst verfasstem Schreiben vom 12. März 2016, das am 18.03.2016 beim Landgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.
1. Entscheidungen über den Widerruf der Aussetzung einer Jugendstrafe (§ 26 Abs. 1 JGG) können gemäß § 59 Abs. 3 JGG (i. V. mit § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG) mit der sofortigen Beschwerde, die binnen einer Woche ab Bekanntmachung der Entscheidung (§ 35 StPO) bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird (§ 306 Abs. 1 StPO), einzulegen ist (§ 311 Abs. 2 StPO, § 2 Abs. 2 JGG), angefochten werden. Diese Frist ist vorliegend nicht gewahrt. Ausweislich des sich bei der Akte befindenden Empfangsbekenntnisses des Wahlverteidigers (Bl. 79 des Bewährungshefts) ist diesem der angefochtene Widerrufsbeschluss am 07.03.2016 durch Zustellung bekannt gemacht worden (§ 35 Abs. 2 Satz 1 StPO), so dass die einwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde am 14.03.2016 abgelaufen ist (§ 43 Abs. 1 StPO); die erst am 18.03.2016 beim Landgericht Saarbrücken eingegangene sofortige Beschwerde vom 12. März 2016 war daher nicht mehr fristwahrend 2. Die an den Wahlverteidiger erfolgte Zustellung des Widerrufsbeschlusses war auch wirksam und daher geeignet, die Beschwerdefrist in Lauf zu setzen.
a) Zwar ergibt sich die hierfür erforderliche Zustellungsvollmacht des Wahlverteidigers nicht bereits aus § 145a Abs. 1 StPO. Danach gilt - neben dem bestellten Verteidiger - auch der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen. Die gesetzliche Zustellungsvollmacht des Wahlverteidigers nach § 145a Abs. 1 StPO setzt zwingend voraus, dass sich - bei Anordnung der Zustellung durch den Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO), spätestens aber bei deren Ausführung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 145a Rn. 8; KK-Laufhütte/Willnow, StPO, 7. Aufl., § 145a Rn. 1) - die Vollmacht des Wahlverteidigers bei den Akten befindet, sei es in Gestalt der Vollmachtsurkunde oder - was dem gleich steht - in Form eines sich bei den Akten befindenden Sitzungsprotokolls, in dem eine in der Hauptverhandlung mündlich erteilte Vollmacht beurkundet worden ist (vgl. BGH NStZ 1996, 97; NStZ 1997, 293; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 145a Rn. 8 f.; KK-Laufhütte/Willnow, a. a. O.). Daran fehlt es hier, weil sich weder zum Zeitpunkt der Anordnung der Zustellung des angefochtenen Widerrufsbeschlusses durch den Vorsitzenden der Jugendkammer I am 03.03.2016 noch bei Ausführung der Zustellung an den Wahlverteidiger am 07.03.2016 eine Vollmachtsurkunde des Wahlverteidigers bei der Akte befand.
b) Der Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO, die lediglich zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Zustellung von Entscheidungen und sonstigen Schriftstücken eine vom Willen des Beschuldigten unabhängige gesetzliche Zustellungsvollmacht begründet (vgl. BGH StraFo 2010, 339 - juris Rn. 3; Senatsbeschlüsse vom 13. August 2009 - 1 Ws 151/09 -, vom 23. Mai 2013 - 1 Ws 9/13 - und vom 2. Juli 2013 - 1 Ws 95/13 -), kann jedoch nicht entnommen werden, dass eine Zustellung nur wirksam an den gewählten Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, bewirkt werden könne (vgl. BGH StraFo 2010, 339 - juris Rn. 3). Vielmehr ist eine wirksa...