Leitsatz (amtlich)
1. Die Aufnahme eines Tatvorwurfes, der für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls nicht rechtfertigen könnte, in einen neu gefassten bzw. erweiterten Haftbefehl setzt keine neue Sechs-Monats-Frist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO in Gang.
2. Eine nahezu 3-monatige Untätigkeit der Ermittlungsbehörden und das Unterlassen einer bereits im Ermittlungsverfahren gebotenen Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Voraussetzungen einer Maßregel nach § 64 StGB führen zur Aufhebung des Haftbefehls gem. § 121 Abs. 2 StPO.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Entscheidung vom 02.04.2015; Aktenzeichen 4 KLs 7/15) |
Tenor
Der Haftbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 02.04.2015 (Az.: 4 KLs 7/15) wird aufgehoben.
Gründe
I.
Der Angeklagte befindet sich seit dem 21.10.2014 in Untersuchungshaft in der JVA Saarbrücken. Grundlage hierfür war zunächst der Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom selben Tage (Az.: 7 Gs 4237/14, Bl. 45 f. d.A.). In diesem Haftbefehl wird dem Angeklagten unerlaubter Anbau von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. §§ 1, 3, 29 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 52 StGB vorgeworfen. Er soll in seiner Wohnung - festgestellt im Rahmen einer Durchsuchung vom 21.10.2014 - eine professionelle Aufzuchtanlage mit 23 Marihuanapflanzen bis 2 m Höhe in vollem Blütezustand betrieben haben, außerdem im Besitz von weiteren 25 Marihuanasetzlingen, 29 Marihuanapflanzen, ca. 1 kg getrocknetem Marihuana, ca. 220 g gemahlenem Marihuana und ca. 25 g Amphetamin gewesen sein, und zwar jeweils zum Zwecke der gewinnbringenden Weiterveräußerung.
Der Haftbefehl gründet sich auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, hilfsweise auf Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO).
Unter dem 31.03.2015 hat die Staatsanwaltschaft wegen des haftbefehlsgegenständlichen Sachverhalts sowie eines weiteren Falles des - bewaffneten - unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Führen und Besitz einer Schusswaffe und unerlaubtem Munitionsbesitz (Tatzeit: 14.03.2013 und davor) sowie eines Falles des unerlaubten Erwerbes vom Betäubungsmitteln (betreffend dem Angeklagten von seiner Lebensgefährtin am 22.01.2015 während des Vollzugs der Untersuchungshaft in der JVA übergebene ca. 2 g Cannabis) Anklage zum Landgericht - Große Strafkammer - in Saarbrücken erhoben und zugleich den Erlass eines der Anklage entsprechenden Haftbefehls beantragt (Bl. 161 ff. d.A.). Diesen Haftbefehl hat das Landgericht am 02.04.2015 erlassen und dem Angeklagten am 10.04.2015 verkündet. Auf Anregung des Verteidigers beauftragte das Landgericht durch Beschluss vom 14.04.2015 die Sachverständige Dr. .... vom Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie der Universität des Saarlandes in Homburg mit der Erstellung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sowie zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Maßregel nach § 64 StGB (Bl. 201 d.A.). Die Sachverständige hatte zugesagt, den Angeklagten bereits am 30.04.2015 explorieren und das schriftliche Gutachten bis - frühestens - Anfang Juni 2015 vorlegen zu können (Bl. 200 d.A.). Am 16.04.2015 beschloss die Kammer die Eröffnung des Hauptverfahrens. Zugleich bestimmte der Vorsitzende bereits am 14.04.2015 mit dem Verteidiger und der Sachverständigen abgestimmte Hauptverhandlungstermine auf den 10., 12. und 17.06.2015.
Das Landgericht hat dem Senat die Akten gem. § 122 Abs. 1 StPO zur Haftprüfung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.
II.
Da der Beschuldigte sich am 20.04.2015 seit sechs Monaten in Untersuchungshaft befunden hat, hatte der Senat gem. §§ 122, 121 StPO über die Frage der Haftfortdauer zu entscheiden.
1. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft zunächst davon aus, dass der Erlass des Haftbefehls vom 02.04.2015 keine neue Sechs-Monats-Frist in Gang gesetzt hat, weil dieser Haftbefehl sich auf dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO bezieht, die bereits Grundlage des ursprünglichen Haftbefehls war bzw. hätte sein können.
a) § 121 Abs. 1 StPO begrenzt die Dauer der Untersuchungshaft bis zum Urteil nur wegen derselben Tat auf sechs Monate. Der Begriff "derselben Tat" in § 121 Abs. 1 StPO ist gesetzlich nicht definiert. Nach zutreffender, vom Senat in ständiger Rechtsprechung geteilter Auffassung (vgl. z.B. Beschlüsse vom 30. September 2011 - 1 Ws 39/11 (H) -, 13. Oktober 2011 - 1 Ws 40/11 (H) - und zuletzt vom 31. Juli 2014 - 1 Ws 33/14 (H) -) muss der Tatbegriff ausgehend vom Schutzzweck der obligatorischen Haftprüfung jedoch weit ausgelegt werden. Danach fallen unter "dieselbe Tat" alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie bekannt geworden sind und in den Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, gleichgültig, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2004, 125 ff.; OLG Celle StraFo 2012, 1...