Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgerechtsverfahren: Anforderungen an die Gestaltung eines Eilverfahrens. Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten. Dringendes Bedürfnis als Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme. Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Rechtsschutzes entsprechen. Das gilt insbesondere für einstweilige Maßnahmen, die bereits dadurch, dass sie später nicht oder nur schwer rückgängig zu machende Tatsachen schaffen, mit einem erheblichen Eingriff in ein Grundrecht verbunden sind. Denn schon die Frage, ob mit der Eingriffsmaßnahme nicht bis zu einer besseren Aufklärung des Sachverhalts abgewartet werden kann, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen, weil vorläufige Maßnahmen zum einen leicht vollendete Tatsachen schaffen und Eilmaßnahmen auf der Grundlage eines noch nicht zuverlässig aufgeklärten Sachverhalts ergehen. Ist ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung wegen der Eilbedürftigkeit nicht möglich, müssen daher zumindest die im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Diese Anforderungen hat der Gesetzgeber in § 49 Abs. 1 FamFG näher ausgestaltet. Diese Vorschrift setzt für den Erlass einer vorläufigen Maßnahme nicht nur voraus, dass diese nach den für das Rechtsverhältnis maßgeblichen Vorschriften gerechtfertigt ist, sondern fordert auch ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden. Ein solches Bedürfnis liegt nur vor, wenn ein Abwarten bis zur Entscheidungsreife in der Hauptsache die Kindesinteresse nicht genügend wahren würde, weil dann eine nachteilige Beeinträchtigung des Kindeswohls ernsthaft zu befürchten ist.

2. Steht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Rede, so muss das Familiengericht in angemessener Zeit entscheiden. Die Einholung jedenfalls eines schriftlichen Sachverständigengutachtens kommt im Eilverfahren aufgrund seines summarischen Zuschnitts und der dadurch ins Land gehenden Zeit regelmäßig nicht in Betracht.

 

Normenkette

GG Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3; BGB § 1666a Abs. 1 S. 1, Abs. 2; FamFG § 49 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Homburg (Aktenzeichen 9 F 293/09 SO)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - in pp. vom pp. - wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

2. Der Verfahrenswert der Beschwerdeinstanz wird auf 1.500 EUR festgesetzt.

3. Die von der Antragsgegnerin für die Beschwerdeinstanz nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe wird verweigert.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin ist die Mutter des am XX. XX. XXXX geborenen betroffenen Kindes S. L., dessen Vater nicht feststeht. S. lebt seit seiner Inobhutnahme durch das Jugendamt am XX. XX. XXXX in einer Pflegefamilie. Aus einer früheren Beziehung ist die Antragsgegnerin Mutter der Tochter S. C. geboren am XX. XX. XXXX. S. lebt seit August 2006 nicht mehr bei der Mutter. Die Mutter stand in der Vergangenheit mehrfach unter Betreuung, zuletzt bis zum XX. XX. XXXX aufgrund Beschlusses des AG - Betreuungsgericht - in pp. vom pp.

Das Jugendamt hat mit am XX. XX. XXXX eingegangenem Bericht einen Antrag nach § 1666 BGB gestellt, dem sich der Verfahrensbeistand angeschlossen hat, die Mutter indessen entgegengetreten ist.

Mit Beschluss vom XX. XX. XXXX hat das Familiengericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage angeordnet, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen die Mutter in der Lage ist, S. zu sich zu nehmen und in eigener Verantwortung zu erziehen, und Frau Dipl.-Psychologin pp. als Sachverständige bestellt. Das Gutachten wurde noch nicht erstattet.

Durch den - nach mündlicher Anhörung angefochtenen Beschluss vom XX. XX. XXXX, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht im Wege einstweiliger Anordnung der Mutter die elterliche Sorge für S. entzogen und diese auf das Jugendamt als Vormund übertragen.

Gegen diesen der Mutter am XX. XX. XXXX zugestellten Beschluss wendet sich diese mit ihrer am XX. XX. XXXX eingegangenen Beschwerde, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt. Zugleich sucht sie um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach.

Der Verfahrensbeistand und das Jugendamt des pp.-Kreises bitten unter Verteidigung des angefochtenen Beschlusses um Zurückweisung der Beschwerde.

Dem Senat haben die Akten des AG pp. vorgelegen.

II. Die nach §§ 57 S. 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter bleibt ohne Erfolg.

Im Ergebnis zu Recht hat das Familiengericht der Mutter die elterliche Sorge für S. nach §§ 1666 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6, 1666a Abs. 1 und Abs. 2 BGB vorläufig vollständig entzogen.

Nach § 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 6 BGB kann das Familiengericht, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, den Sorgebe...

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