Leitsatz (amtlich)
Bei Verletzung einer versicherungsrechtlichen Obliegenheit - hier: behaupteter Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 86 Abs. 2 VVG durch Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit dem Schädiger - kann dem Versicherungsnehmer das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Aktenzeichen 14 O 221/17) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 22. November 2018 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 221/17 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte wegen der dem Unfall des Klägers vom 3. September 2015 zuzuordnenden Krankheitskosten im Rahmen des bestehenden Versicherungsschutzes zur Versicherungsschein-Nummer ... eintrittspflichtig ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Eintrittspflicht der Beklagten aus einer privaten Krankheitskostenversicherung.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung (Versicherungs-Nummer: ...) nach den Tarifen AM 4, ZM 3 und SM6 auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten, bestehend u.a. aus den MB/KK 2009. Am 3. September 2015 wurde er anlässlich eines Verkehrsunfalles verletzt und musste ärztlich behandelt werden. Die Beklagte übernahm tarifgemäß die Erstattung unfallbedingter Behandlungskosten des Klägers, wofür sie von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bislang Erstattungen in Höhe von insgesamt 21.552,72 Euro erhielt. Zum Zwecke der Entfernung von Schrauben und Platten werden noch zwei weitere Operationen am Bein und am Schlüsselbein erforderlich sein. Der Kläger führte vor dem Landgericht Saarbrücken einen Rechtsstreit gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners (Az.: 15 O 210/16), mit dem er u.a. Ersatz seiner materiellen Schäden, ein angemessenes Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht sämtlicher aus dem Unfall resultierender Schäden begehrte. Dieser Rechtsstreit wurde in der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2017 durch einen Vergleich beendet, wonach sich die dortige Beklagte zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages von 15.000,- Euro verpflichtete (Ziffer 1 des Vergleichs). Weiterhin heißt es in Ziffer 2:
"Mit der Zahlung des in Ziffer 1. genannten Betrages sind sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus dem hier streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 3. September 2015 für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft endgültig erledigt und abgefunden. Dieser Abfindungsvergleich betrifft sämtliche Ansprüche, auch diejenigen, die hier nicht streitgegenständlich sind und nicht vorhersehbar sind".
Beide Parteien behielten sich das Recht vor, den Vergleich durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht bis zum 5. Mai 2017 zu widerrufen; ein Widerruf erfolgte nicht. In der Folgezeit informierte der Kläger die Beklagte über den Abschluss des Vergleichs mit dem Unfallgegner. Diese teilte dem Kläger u.a. mit Schreiben vom 11. Mai 2017 mit, dass ihm ab dem Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs wegen einer dadurch bedingten Verletzung des Aufgabeverbotes (§ 86 Abs. 2 VVG) keine weiteren Leistungsansprüche für Krankheitskosten im Zusammenhang mit dem Unfall vom 3. September 2015 zustünden. Hieran hielt sie nach zwischenzeitlicher Erstattung von zwei Rechnungen für Krankengymnastik und Lymphdrainage vom 2. Juni 2017 über insgesamt 460,- Euro auch in der Folgezeit fest.
Der Kläger hat seine auf Feststellung der vertragsgemäßen Eintrittspflicht für die dem Unfall zuzuordnenden Krankheitskosten gerichtete Klage für zulässig gehalten, nachdem weitere unfallbedingte Operationen bevorstünden und die Beklagte weitere Leistungen abgelehnt habe. Eine ursächliche Verletzung des Aufgabeverbotes liege nicht vor, weil die Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners bereits vor Abschluss des Vergleiches auf die Beklagte übergegangen seien; insoweit könne für die private Krankenversicherung nichts anderes gelten als für den Forderungsübergang bei der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 116 SGB X). Zumindest habe der Kläger Obliegenheiten nicht schuldhaft verletzt, weil er sich vor Abschluss des Vergleichs entsprechenden Rechtsrat bei seiner Rechtsanwältin eingeholt und darauf habe vertrauen dürfen; ein etwaiges Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten sei ihm nicht zuzurechnen. Letztlich habe die Beklagte durch die Erbringung weiterer Leistungen nach Kenntnis vom Abschluss des Vergleichs ihre Eintrittspflicht anerkannt. Die Beklagte hat den Feststellungsantrag für zu weitgehend gehalten, weil dieser sich allenfalls auf die Erstattung von Krankenkosten im tariflichen Umfang richten könne. Jedenfalls sei sie leistungsfrei, weil der Kläger vorsätzlich gegen das Aufgabeverbot verstoßen habe, ind...