Leitsatz (amtlich)
1. Zur Beratungspflicht eines Fahrzeugversicherers, der den Versicherungsvertrag im Wege des Fernabsatzes über das Internet vertreibt.
2. Erweist sich die erworbene Kasko-Deckung für den Versicherungsnehmer als unzureichend, weil die darin zugesagte Neupreisentschädigung nur unter Voraussetzungen gewährt wird, die das versicherte Fahrzeug nicht erfüllt, so kommt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung von Beratungspflichten nicht in Betracht, wenn dem Versicherungsnehmer bei Beantragung des Vertrages entsprechende Informationen zur Verfügung standen und aus Sicht des Versicherers auch sonst kein Anlass für eine Beratung bestand.
Normenkette
AKB Nr. A. 2.6.1; AKB Nr. A. 2.6.1; AKB Nr. A. 2.6.2; VVG § 6 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 28.07.2023; Aktenzeichen 14 O 2/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28. Juli 2023 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 2/21 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
a) 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100,00 EUR nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Januar 2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin auf die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten 290,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Januar 2021 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
III. Dass Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 4.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Abrechnung eines Vollkaskoschadens.
Der Vater der Klägerin, Herr G. M., erwarb am 04.04.2019 einen Pkw Renault Twingo Limited 2018. Das Fahrzeug wurde über die R. Bank finanziert und am 10.04.2019 auf den Vater der Klägerin zugelassen. Der Vater der Klägerin ist Halter des Fahrzeugs, welches im Rahmen der Finanzierung der R. Bank sicherungsübereignet war.
Die Klägerin schloss mit der V. Versicherung eine Versicherung der Produktlinie "Vollkasko Premium" ab. Die Versicherungsbedingungen der V. Versicherung (vgl. Anlage K6) sehen unter Punkt C.1.5 Folgendes vor:
"Neupreisentschädigung bei Totalschaden, Zerstörung oder Verlust
Bei Pkw zahlen wir den Neupreis des Fahrzeugs, wenn bei Vereinbarung
- der Produktlinie "Premium" innerhalb von 24 Monaten,
- den Produktlinien "Klassik" und "Partner" innerhalb von 18 Monaten bzw.
- der Produktlinie "Basis" innerhalb von 12 Monaten
nach dessen Erstzulassung eine Zerstörung oder ein Verlust eintritt."
Fahrer unter 24 Jahren sind vom Versicherungsschutz ausgenommen. Die am 30.11.1999 geborene Tochter der Klägerin sollte den Pkw ab Oktober 2019 mitbenutzen, weshalb der Ehemann der Klägerin ein entsprechendes Angebot zur Änderung des Vertrages zum Zwecke der Mitversicherung der Tochter der Klägerin einholte. Das seitens der V. Versicherung unterbreitete Angebot sagte der Klägerin und deren Ehemann jedoch nicht zu, weshalb sie die Versicherung kündigten.
Die Klägerin schloss sodann bei der Beklagten mit Wirkung zum 13.09.2019 einen neuen Vollkaskoversicherungsvertrag im Tarif "Comfortschutz" ab. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung, Stand September 2018 (im Folgenden: AKB), zugrunde (Anlagenkonvolut K10). Der Vertragsschluss erfolgte ohne persönliche Beratung durch Nutzung des bereits vorhandenen Kundenlogin - da die Klägerin und deren Ehemann bereits Kunden bei der Beklagten waren - auf der Homepage der Beklagten. Bzgl. der Gestaltung der Homepage in Bezug auf Informationen über die Neupreisentschädigung wird auf die Darstellungen und Screenshots in der Klageschrift verwiesen. Versicherungsbeginn war der 08.09.2019 (vgl. Anlage K 9).
Ziffer A.2.6.1 und A.2.6.2 der AKB sehen Folgendes vor:
"A.2.6.1 Bei Totalschaden, Zerstörung oder Verlust des Fahrzeugs zahlen wir den Wiederbeschaffungswert unter Abzug eines vorhandenen Restwerts des Fahrzeugs. Lassen Sie Ihr Fahrzeug trotz Totalschadens oder Zerstörung reparieren, gilt A.2.7.1."
"A.2.6.2 Bei Pkw (ausgenommen Mietwagen, Taxen, und Selbstfahrervermiet-Pkw) gilt entweder die Neupreisentschädigung oder die Kaufwertentschädigung für Gebrauchtfahrzeuge unter folgenden Voraussetzungen:
a. Neupreisentschädigung für Neufahrzeuge
Wir erstatten den Neupreis des Fahrzeugs nach A.2.6.10, wenn bei vereinbartem
- Basisschutz innerhalb von 12 Monaten
- Comfortschutz innerhalb von 24 Monaten
nach Vertragsbeginn eine Zerstörung, ein Totalschaden oder ein Verlust eintritt und der Zeitraum zwischen Erstzulassung des Fahrzeugs und Vertragsbeginn nicht mehr als einen Monat beträgt. [...]
Voraussetzung ist, dass sich das Fahrzeug bei Eintritt des Schadenereignisses im Eigentum dessen befindet, der es als Neu- oder Vorführfahrzeug vom Kfz-Händler oder Kfz-Hersteller erworben hat. Ein ...