Leitsatz (amtlich)
Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über Vorerkrankungen einer von mehreren versicherten Personen erfasst einen Unfallversicherungsvertrag als Ganzen nur dann, wenn der Versicherer ihn bei Offenbarung der Vorerkrankung insgesamt nicht abgeschlossen hätte.
Normenkette
BGB §§ 123, 142, 139; VVG § 29
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 21.02.2011; Aktenzeichen 12 O 16/09) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.2.2011 verkündete Urteil des LG Saarbrücken - 12 O 16/09 - wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 85.000 EUR festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Unfallversicherungsvertrag.
Den Versicherungsantrag stellte der Kläger am 16.2.2004 (Bl. 1 des Anlagenbandes zu Bl. 24 ff.). Er selbst sollte Versicherungsnehmer sein, versicherte Personen seine Ehefrau M. S., seine Tochter A. S. (geboren am 6.5.1979) und sein Sohn J. S. (geboren am 13.2.1982). Als Antwort zu der Frage nach Krankheiten der versicherten Personen in den letzten vier Jahren wurde im Versicherungsantrag "nein" angekreuzt (Bl. 218 d.A.). Der Antrag wurde vom Kläger, seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern unterschrieben (Bl. 218 Rs. d.A.).
Der Vertrag wurde mit Vertragsbeginn zum 1.4.2004 policiert (Versicherungsschein Nr. 1111111111, Bl. 4 d.A.). Ihm wurden u.a. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen "Unfall-Plus-2001" (Bl. 7 d.A.) der Beklagten zugrunde gelegt.
Am 7.6.2006 erlitt die Versicherte A. S. einen Verkehrsunfall, dessen Folgen Gegenstand der im hiesigen Rechtsstreit vom Kläger als Versicherungsnehmer für seine Tochter geltend gemachten Ansprüche sind (Bl. 2 d.A.).
Mit Schreiben vom 22.4.2007 wurde ein weiterer Versicherungsfall angezeigt, diesmal den Sohn des Klägers betreffend (zum diesbezüglichen Schriftwechsel s. Bl. 11 ff. des Anlagenbandes zu Bl. 24 ff.). Im Schadensanzeigeformular war unter Ziff. 7 "Vorerkrankung und Vorunfälle" eine "Persönlichkeitsstörung" und "Depression" im Jahr 2004 und im Jahr 2006 angegeben. Auf Rückfrage der Beklagten wurde in einem Schreiben der "Familie S." mitgeteilt, der Versicherte J. S. befinde sich, mit Unterbrechungen, seit 2002 in ärztlicher Behandlung. Aufgrund der Erkrankung des J. S. war vom 20.9.2006 bis zum 10.1.2007 eine stationäre Behandlung erforderlich (Bl. 26 d.A.). Es steht auch eine - vom Kläger ebenso wie eine depressive Erkrankung bestrittene (Bl. 31, 32 d.A.) - Alkohol- und Drogenabhängigkeit im Raum (Bl. 27, 31, 32 d.A.).
In einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 22.8.2007 (Bl. 6 des Anlagenbandes zu Bl. 24 ff.) - mit dem Betreff "Unfallversicherung Nr. 500417926, Schaden Nr. 2007/02463", "Versicherte Person: J. S." - erklärte die Beklagte, es sei aus ärztlichen Unterlagen ersichtlich geworden, "dass Sie seit dem 16. Lebensjahr an einer depressiven Störung mit einer Persönlichkeitsstörung leiden". Im Antrag auf Unfallversicherung vom 16.2.2004 habe er - der Kläger und Versicherungsnehmer - aber angegeben, nicht an einer erheblichen Krankheit zu leiden, obwohl er hierzu gem. § 16 VVG als Versicherungsnehmer verpflichtet gewesen wäre. Bei Kenntnis dieser gefahrerheblichen Umstände hätte sie den Vertrag nicht angenommen, so dass sie aufgrund Anzeigepflichtverletzung gem. § 16 Abs. 2 VVG vom Vertrag zurücktrete und weiterhin "den vorliegenden Unfallversicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung" anfechte.
Der Kläger hat der Beklagten ein Recht, sich vom Vertrag zu lösen, abgesprochen. Er ist der Ansicht gewesen, Rücktritt und Anfechtung hätten sich allein auf das Versicherungsverhältnis zu dem mitversicherten J. S. bezogen. Der Vertrag im Übrigen bleibe unberührt (Bl. 30 d.A.). Dessen ungeachtet hat der Kläger eine Kenntnis vom Gesundheitszustand seines Sohnes zum Zeitpunkt der Antragstellung bestritten, ebenso, dass damals eine Depression, ein Alkoholismus und eine Drogensucht bestanden hätten (Bl. 31, 32 d.A.). Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Versicherte nicht mehr in seinem Haus gelebt, sondern in den Jahren 2001 und 2002 seinen Zivildienst abgeleistet und sodann in Weimar Architektur studiert habe (Bl. 31, 54 d.A.; Mietvertrag des J. S. vom 1.11.2001 nebst Kündigung vom 16.6.2004, Zivildienstbestätigung vom 16.7.2002 und Immatrikulationsbescheinigung vom 7.7.2003, Bl. 57-60 d.A.). Erst im Herbst 2005 hätten er und seine Ehefrau von den Problemen des Sohns, der damals sein Studium aufgegeben habe, erfahren (Bl. 32 d.A.). An anderer Stelle hat der Kläger eingeräumt, im September 2004 Probleme bemerkt (Bl. 228 d.A.) und vom Krankenhausaufenthalt zwischen dem 18.10.2004 und dem 2.11.2004 - beides indessen nach Antragstellung - gewusst zu haben (S. 3 ...