Leitsatz (amtlich)

Ob die Herbeiführung des Todes der versicherten Person vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung iSd. § 162 WG geschehen ist, ist nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Da Verschulden Schuldfähigkeit voraussetzt, ist gern. § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB § 827 Satz 1 BGB entsprechend anzuwenden, wonach derjenige nicht verantwortlich ist, der einem anderen im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einen Schaden zufügt. Ist der Täter nicht schuldfähig, handelt er nicht vorsätzlich.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 25.05.2016; Aktenzeichen 14 O 55/14)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.5.2016 verkündete Urteil des LG Saarbrücken - 14 O 55/14 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des LG vom 25.5.2016 sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckunq durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115o des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 118.000 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Versicherungsleistungen aus zwei Versicherungsverträgen. Er war sowohl bei dem Risiko-Lebensversicherungsvertrag Nr. 4985107 als auch bei dem Riestervertrag Nr. 200010767 Bezugsberechtigter im Todesfall, versicherte Person beider Verträge war die Ehefrau des Klägers, die auch Versicherungsnehmerin des Riestervertrages war. Versicherungsnehmer des Vertrages Nr. 4985107 ist der Kläger.

Unstreitig tötete der Kläger seine Ehefrau am 31.7.2011 durch Erwürgen. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger bei dieser Tat schuldfähig gewesen ist und ob fehlende Schuldfähigkeit gemäß § 162 VVG zur Leistungsfreiheit der Beklagten führt.

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bremen vom 1.12.2011 (Bl. 12 d.A.) wurde dem Kläger vorgeworfen, sich des Mordes gemäß § 211 8tGB strafbar gemacht zu haben. Im Ermittlungsverfahren war durch die Staatsanwaltschaft Bremen ein psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Friedrich O. Schwerdtfeger vom 25.10.2011 (Bl. 20, 59 d.A.) eingeholt worden. Im Auftrag des LG Bremen wurden weitere psychiatrische Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. med. Haselbeck vom -. 15.1.2012 (Bl. 65,89/90 d.A.) nebst ergänzender Stellungnahme vom 21.7.2012 (Bl. 104 d.A.) und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Prof. Dr. med, Leygraf vom 13.8.2012 (Bl. 93, 98/99 d.A.) sowie eine ergänzende Stellungnahme des bereits im Ermittlungsverfahren beauftragten Gutachters Schwerdtfeger vom 27.7.2012 (Bl. 110, 116 d.A.) eingeholt. Mit Beschluss vom 26.9.2012 - 22 Ks 271 Js 39372/11 - (Bl. 120 d.A.) lehnte die 22. Strafkammer des LG Bremen (Schwurgericht 11) die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, da aufgrund der - im Ergebnis - übereinstimmenden Einschätzungen der Gutachter eine Verurteilung des Klägers mangels Schuldfähigkeit ausgeschlossen erscheine (Bl. 125 d.A.). Mit Beschluss vom 28.4.2014 - 22 Ks 271 Js 39372/11 - lehnte die 22. Strafkammer des LG Bremen (Schwurgericht 11) auch die Eröffnung des Hauptverfahren im Sicherungsverfahren ab (Bl. 215 d.A.).

Nachdem die Beklagte die Erbringung von Versicherungsleistungen mit Schreiben vom 6.8.2013 (Bl. 7 d.A.) und vom 18.9.2013 (Bl. 11 d.A.) unter Hinweis auf § 162 VVG abgelehnt hat, verfolgt der Kläger sein Begehren mit der vorliegenden Klage weiter.

Er hat im Rahmen des § 162 VVG die Darlegungs- und Beweislast auch hinsichtlich der Schuldfähigkeit bei der Beklagten gesehen (Bl. 220 d.A.). Hinsichtlich der Versicherung Nr. 200010767 sei die Beklagte zur Mitteilung des Versicherungsguthabens zum 31.7.2011 verpflichtet. Der Kläger hat ferner darauf verwiesen, dass er auch als Erbe seiner Ehefrau an den Versicherungsleistungen berechtigt sei.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. die Versicherungsleistungen aus den Verträgen Nr. 4985107 und 200010767 per 1.8.2011 ordnungsgemäß abzurechnen und die sich daraus ergebenden Beträge nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.7.2011 an den Kläger auszuzahlen,

2. den Kläger von der Zahlung der vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 2.480,44 EUR gegenüber seinen Verfahrensbevollmächtigten freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat den Klageantrag zu 1) bereits für unzulässig erachtet. In der Sache hat sie die Ansicht vertreten, dass im Rahmen des § 162 VVG die im Strafrecht geltende eingeschränkte Schuldtheorie anwendbar sei, nach welcher der Vorsatz unabhängig von der Schuldfähigkeit des Täters sei. Für eine solche Auslegung spreche bereits der Vergleich mit § 161 Abs. 1 WG. Eine unterschiedliche Auslegung des Vorsatzbegriffs in der benachbarten Bestimmung de...

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