Leitsatz (amtlich)

1. Das fehlende Tragen eines Fahrradhelms begründet erst dann mit den Mitverschuldensvorwurf gem. § 254 BGB, wenn sich der Radfahrer als sportlich ambitionierter Fahrer besonderen Risiken aussetzt oder wenn in seiner persönlichen Disposition ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht.

2. Ein auf Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten gerichteter materieller Kostenerstattungsanspruch kann sich sowohl aus Verzugsgesichtspunkten (§§ 286, 280 Abs. 1 und 2, § 288 Abs. 4 BGB) als auch aus der Verwirklichung des Haftungstatbestandes des § 7 StVG i.V.m. § 249 BGB ergeben.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 17.01.2007; Aktenzeichen 3 O 397/05)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des LG Saarbrücken vom 17.1.2007 - 3 O 397/05 - mit der Maßgabe abgeändert, dass die Beklagten weiterhin verurteilt werden, als Gesamtschuldner die Klägerin von den vorgerichtlichen Anwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten i.H.v. 594,73 EUR freizustellen. Die weitergehende Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000 EUR festgesetzt.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagte zu 1) als Fahrerin und Halterin des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeugs der Marke Peugeot 206, amtliches Kennzeichen XXX, aus einem Verkehrsunfall, der sich am 19.5.2005 in V. ereignete, auf Feststellung der Einstandspflicht in Anspruch.

Die Klägerin befuhr zwischen 13 und 14 Uhr mit ihrem Fahrrad die H. straße in Richtung K.-J.-Straße. In der Straße parkten in Parkbuchten am rechten Fahrbahnrand mehrere Fahrzeuge, unter ihnen auch das Fahrzeug der Beklagten zu 1). Diese hatte ihren Pkw gerade dort abgestellt. Als die Klägerin die ersten parkenden Autos passierte und sich in Höhe des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) befand, fuhr sie gegen die von der Beklagten zu 1) geöffnete Fahrertür. Sie prallte mit der rechten Körperhälfte beziehungsweise der rechten Schulter gegen die Außenkante der Fahrertür, kam zu Fall und stürzte mit dem Hinterkopf auf die Straße.

Die Klägerin erlitt u.a. schwere Hirnverletzungen. Ihre ärztliche Behandlung ist noch nicht abgeschlossen. So steht noch eine weitere Operation zur Reimplantation der zunächst entfernten Schädeldecke aus. Die Klägerin leidet unter anhaltenden Aufmerksamkeitsstörungen, einer verminderten Kontrollfähigkeit und einem gestörten Bewusstsein. Ob Dauerschäden verbleiben, ist gegenwärtig noch nicht absehbar.

Mit Schreiben vom 31.5.2005 wurde die Beklagte zu 2) aufgefordert, zum Haftungsgrund und ihrer Eintrittspflicht bis spätestens 17.6.2005 Stellung zu nehmen. Hierauf teilte die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 8.7.2005 mit, dass sie eine Tatbeteiligung der Beklagten zu 1) bestreite; mit Schreiben vom 15.9.2005 regte sie an, zunächst den Abschluss des Strafverfahrens gegen die Beklagte zu 1) abzuwarten. Im Berufungsrechtzug steht außer Streit, dass die Klägerin die Gebührenrechnung ihrer Prozessbevollmächtigten über 594,73 EUR bislang nicht ausgeglichen hat.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei mit einer Geschwindigkeit von circa 10 bis 20 km/h gefahren und habe einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den parkenden Autos eingehalten. Die Beklagte zu 1) habe sich vor dem Öffnen der Fahrertür nicht vergewissert, ob das Öffnen der Tür gefahrlos möglich sei. Sie habe die Tür zügig geöffnet, als sich die Klägerin neben dem Fahrzeug befunden habe. Ein rechtzeitiges Anhalten oder Ausweichen sei daher nicht mehr möglich gewesen. Der Wagen sei direkt an der Rinne zwischen dem Parkstreifen und der Fahrbahn abgestellt gewesen, weshalb die geöffnete Tür fast vollständig in den Straßenraum hineingeragt habe. Die Beklagte zu 1) habe zum Zeitpunkt des Aufpralls noch im Wagen gesessen.

Die Klägerin hat beantragt,

I. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach verpflichtet sind, der Klägerin vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Versicherungsträger oder sonstige Dritte sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, auch zukünftige, aus dem Verkehrsunfall vom 19.5.2005 in V., H. straße, zu ersetzen;

II. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 594,73 EUR zu zahlen nebst 5 Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage.

Dem sind die Beklagten entgegengetreten. Die Beklagten haben behauptet, zwischen der linken Seite des ganz rechts auf dem Parkstreifen abgestellten Pkw der Beklagten zu 1) und d...

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