Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen an die Verkehrssicherungspflicht öffentlicher Straßen: Sturz einer aus einem Fahrzeug aussteigenden Fußgängerin über eine Bordsteinkante, die 3-4 cm über die angrenzenden Bord- und Verbundsteine hinausragt.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 09.09.2010; Aktenzeichen 4 O 219/10) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 9.9.2010 verkündete Urteil des LG Saarbrücken (4 O 219/10) abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis geltend, welches sich nach ihrer Behauptung am 14.10.2009 in H., ereignet hat. Hinsichtlich der genauen örtlichen Lage wird auf die Lichtbilder (Hülle Bl. 33 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe am Unfalltag gegen 7.30 Uhr den nahe der Unfallörtlichkeit befindlichen "A. Markt" aufgesucht, um Zeitschriften zu kaufen. Der Zeuge H. habe sie dorthin gefahren und sein Fahrzeug am Straßenrand abgestellt. Die Klägerin sei auf dem Weg zu dem Geschäft an einem schadhaften Bordstein hängengeblieben und zu Fall gekommen (Bl. 3 d.A.). Der Zustand der Bordsteine folge aus den Lichtbildern (Bl. 6 d.A.).
Der Zustand der Bordsteine sei der Beklagten infolge einer Meldung der Zeugin G. schon längere Zeit vor dem Unfall der Klägerin bekannt gewesen.
Infolge des Sturzes sei die Klägerin auf das Gesicht gefallen und habe eine Platzwunde an der Nasenwurzel erlitten (Lichtbild Bl. 6 d.A.). Deshalb sei sie ambulant chirurgisch behandelt worden (Bl. 4 d.A.). Hierdurch habe sie auch Attestkosten i.H.v. 8,- EUR aufwenden müssen (Bl. 8d. a.).
Da infolge der Aufregung ihr Blutdruck entgleist sei, sei sie bis zum 13.11.2009 ambulant hausärztlich behandelt worden (Bl. 4 d.A.), was aus dem vorgelegten ärztlichen Zeugnis (Bl. 10 d.A.) folge.
Durch den Sturz sei die Brille der Klägerin irreparabel beschädigt worden. Für deren Ersatz müsse sie auf Grund eines Kostenvoranschlages (Bl. 11 d.A.) 570,50 EUR netto aufwenden (Bl. 4 d.A.).
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte die schadhafte Unfallstelle auf Grund der Meldung der Zeugin G. habe beseitigen müssen und können (Bl. 3 d.A.).
Wegen der erlittenen Verletzungen sei ein Schmerzensgeld von 1.000,- EUR angemessen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.6.2010 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 8,- EUR Attestkosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.6.2010 zu zahlen, und
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 570,- EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.6.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat den Unfallhergang und die Unfallfolgen mit Nichtwissen bestritten.
Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liege schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin im Hinblick auf die Fahrbahnbegrenzung durch Bordsteine einen Höhenunterschied habe überwinden müssen. Die Höhendifferenz der Bordsteine betrage auch nicht, wie von der Klägerin angegeben, 5 - 10 cm, sondern höchstens 3 cm. Auf die zur Unfallzeit herrschende Dunkelheit könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie aus diesem Grund zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen sei (Bl. 20 d.A.).
Mit dem am 9.9.2010 verkündeten Urteil (Bl. 42 d.A.) hat das LG Saarbrücken - nach informatorischer Anhörung der Klägerin (Bl. 36 d.A.) und Beweiserhebung durch Vernehmung der Zeugen G. (Bl. 36 d.A.) und H. (Bl. 37 d.A.) - die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 600,- EUR, 8,- EUR Attestkosten und 570,50 EUR jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Senat nimmt gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils Bezug.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe mit der nachträglichen Absicherung nicht zu erkennen gegeben, dass sie den maßgeblichen Bereich als gefährlich einstufe. Vielmehr sei eine solche nachträgliche Absicherung als Zugeständnis gegenüber denjenigen Verkehrsteilnehmern zu werten, die wie die Klägerin nicht mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unterwegs seien. Auf Grund des gegenteiligen Schlusses des LG ließe sich die Haftung eines Verkehrssicherungspflichtigen, der nachträgliche Sicherungsmaßnahmen vornimmt, leichter begründen als eines solchen, der diese unterlasse. Dies sei nicht nur unangemessen, sondern liege auch nicht im Interesse der Verkehrsteilnehmer. Das Vornehmen nachträglicher Sicherungsmaßnahmen sei demzufolge weder ein Indiz für das Bejahen der Verkehrssicherungspflicht noch für eine Bewertung der Unfallstelle als gefährlich (Bl. 76 d.A.). Im Übrigen sei die subjektive Einschätzung der Beklagten nicht entsche...