Leitsatz (amtlich)
1. Ein zufällig vorbeikommender Helfer, der den Halter eines Kraftfahrzeugs bei dem Versuch der gemeinsamen Behebung einer Fahrzeugpanne tödlich verletzt, kann sich den Hinterbliebenen gegenüber auf das Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 2 S. 1 SGB VII berufen.
2. Die Anerkennung des Schadensereignisses als Arbeitsunfall (Wegeunfall) durch den für den Arbeitgeber des Verstorbenen zuständigen Unfallversicherungsträger hindert die Zivilgerichte nicht daran, den Unfall dem im Halten des Kraftfahrzeugs zu erblickenden Unternehmen des Verstorbenen zuzuordnen.
Normenkette
BGB § 844 Abs. 3; SGB VII § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 105 Abs. 2 S. 1, § 108 Abs. 1 S. 1; StVG § 10 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 14.07.2023; Aktenzeichen 1 O 78/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14.7.2023 - 1 O 78/21 - teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits zu gleichen Teilen.
III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Vollstreckungsschuldnern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagten auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 bis 4 wurde am 8.10.2019 bei dem Versuch, eine Fahrzeugpanne zu beheben, getötet. Er befand sich am Abend des Unfalltages auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstätte, als sein Kraftfahrzeug, ein VW Transporter, in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung in... im Einmündungsbereich der Straßen... und ... liegenblieb. Der Beklagte zu 1 bot dem Verstorbenen Starthilfe an und stellte hierfür den in der Straße ... abgestellten, bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Lkw zur Verfügung, den er zu diesem Zweck ein Stück in Richtung des Transporters versetzte. Als der Verstorbene und der Beklagte zu 1 versuchten, den Motor des Transporters mithilfe eines Überbrückungskabels zu starten, setzte sich der Lkw in der abschüssigen Straße in Bewegung und quetschte die beiden Personen zwischen den Fahrzeugen ein. Hierbei erlitten der Beklagte zu 1 schwere und der Verstorbene tödliche Verletzungen.
Der Beklagte zu 1 wurde durch das Amtsgericht Völklingen wegen fahrlässiger Tötung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, nachdem ein im Ermittlungsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten ergeben hatte, dass an dem Lkw die Feststellbremse nicht ordnungsgemäß betätigt worden war. Im Rahmen einer Bewährungsauflage zahlte der Beklagte zu 1 12.000 EUR an die Klägerin zu 1.
Die für den Arbeitgeber des Verstorbenen zuständigen Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), die den Klägern eine Witwen- und Halbwaisenrente gewährt, bestätigte mit Schreiben vom 24.10.2022 (Bl. 158 GA) die Anerkennung des Unfalls als Wegeunfall.
Mit ihrer Klage beanspruchen die Kläger von den Beklagten ein Hinterbliebenengeld von jeweils 10.000 EUR sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Die Parteien haben in erster Instanz im Wesentlichen darüber, ob die Haftung der Beklagten nach § 105 SGB VII ausgeschlossen ist, sowie über die Höhe des Hinterbliebenengeldes gestritten.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6.1.2023 (Bl. 179 GA) den Rechtsstreit wegen unterbliebener Beteiligung der Beklagten an dem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren gemäß § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ausgesetzt. Die Beklagten haben daraufhin zunächst einen Antrag auf Wiederholung dieses Verfahrens gestellt, den sie in der Folge zurückgenommen haben.
Durch das angefochtene Urteil (Bl. 251 GA), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Hinterbliebenengeldes von jeweils 8.500 EUR nebst Verzugszinsen an die Kläger sowie zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.832,01 EUR an deren Rechtsschutzversicherer verurteilt.
Das Landgericht hält die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld nach § 10 Abs. 3, § 844 Abs. 3 BGB für gegeben. Es nimmt an, der Beklagte zu 1 sei im Rahmen der von ihm geleisteten Pannenhilfe als Wie-Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB VII im Unternehmen des Verstorbenen tätig geworden, weshalb der Unfall in diesem Verhältnis als Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII anzusehen sei. Die Beklagten könnten sich jedoch nicht auf den Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII berufen, weil die VBG den Unfall als Wegeunfall anerkannt und ihn dem Unternehmen des Arbeitgebers des Verstorbenen zugeordnet habe. Die Entscheidung der VBG sei für die Zivilgerichte bindend und stehe einer gleichzeitigen Zuordnung des Unfalls zum Unternehmen de...