Leitsatz (amtlich)

1. Der Wartepflichtige ist an einer Einmündung nicht gehalten, den Einbiegevorgang in einer den Anforderungen des § 8 Abs. 2 S. 3 StVO entsprechenden Weise durch zentimeterweises Vorfahren mit der Möglichkeit zum sofortigen Anhalten zu vollziehen, wenn er darauf vertrauen darf, ohne Gefährdung des noch nicht in sein Sichtfeld geratenen bevorrechtigten Verkehrs in die Vorfahrtsstraße einzubiegen.

2. Der gegen den Wartepflichtigen streitende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der bevorrechtigte Unfallgegner - ein Motorradfahrer - unmittelbar vor dem Unfall unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein anderes Fahrzeug überholte, dessen Fahrer keine Mühe hatte, rechtzeitig vor Erreichen der im Kreuzungsbereich liegenden Unfallstelle anzuhalten.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 17.12.2009; Aktenzeichen 6 O 305/07)

 

Tenor

1. Auf die Erstberufung der Beklagten wird das Grund- und Teilurteil des LG Saarbrücken vom 17.12.2009 - 6 O 305/07 - mit der Maßgabe abgeändert, dass die auf Ersatz der den Klägern entstandenen Schäden gerichtete Klage dem Grunde nach lediglich zu 20 % gerechtfertigt ist und die im Feststellungsausspruch tenorierte Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der dem Kläger zu 2) entstandenen Schäden lediglich auf eine 20%ige Haftung beschränkt ist. Die Haftung der Beklagten ist auf die Höchstbeträge des § 12 StVO in der bis zum 18.12.2007 geltenden Fassung beschränkt. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Im Übrigen wird die Erstberufung zurückgewiesen.

2. Die Zweitberufung der Kläger wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten der Zweitberufung fallen den Klägern zur Last. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Zwangsvollstreckung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leisten.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 121.840 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Im vorliegenden Rechtsstreit nehmen die Kläger die Beklagten aus einem Verkehrsunfall, welcher sich am. 9.2006 gegen 19:00 Uhr in der Straße in P. ereignete, auf Schadensersatz in Anspruch.

Der im Jahr 1986 geborene Kläger zu 2) war Fahrer des Motorrades der Marke K. mit dem amtlichen Kennzeichen, dessen Eigentümer und Halter der Kläger zu 1) war. Der Beklagte zu 1) war Fahrer, der Beklagte zu 2) Halter des unfallbeteiligten Pkws der Marke B. mit dem amtlichen Kennzeichen, der zum Zeitpunkt des Unfalls bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert war.

Der Beklagte zu 1) befuhr die straße in K., um nach links in die bevorrechtigte Straße abzubiegen. Der Kläger zu 2) befuhr die Straße aus dem Zentrum von K. kommend in Richtung S.. Der Beklagte zu 1) hielt sein Fahrzeug im Einmündungsbereich zur Straße vor der Haltelinie an, setzte den Fahrtrichtungsanzeiger nach links, blickte sich zunächst nach links, dann nach rechts und nochmals nach links um, bevor er mit seinem Fahrzeug in einem normalen Anfahrvorgang einbog. Die Sicht des Beklagten zu 1) war beim Einfahren in die Straße durch zwei vor der Bank parkende Fahrzeuge eingeschränkt. Als der Beklagte zu 1) den Kläger zu 2) wahrnahm, bremste er sein Fahrzeug sofort bis zum Stillstand ab und blieb auf der Straße stehen. Der Kläger zu 2) kam in Höhe der Einmündungstraße zu Fall und kollidierte mit dem auf der Straße stehen gebliebenen Fahrzeug des Beklagten zu 2). Der Kläger erlitt schwere Verletzungen u.a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Wegen der schwerwiegenden Hirnverletzung wurde der Kläger zu 2) unter die rechtliche Betreuung seiner Mutter gestellt.

Die Kläger haben behauptet, das Motorrad habe sich vor dem Sturz auf der rechten Fahrspur befunden und sei erst dann von der rechten Fahrspur auf die linke Fahrspur bewegt worden. Sie haben die Auffassung vertreten, dass der Beklagte zu 2) eine Vorfahrtsverletzung begangen habe, indem er ohne Beachtung des Vorrechts des Klägers zu 2) in die Straße eingefahren sei.

Der Kläger zu 1) erstrebt den Ausgleich des ihm entstandenen Sachschadens. Der Kläger zu 2) erstrebt die Zahlung eines Schmerzensgeldes, dessen Höhe er in das Ermessen des Gerichts stellt, welches jedoch einen Mindestbetrag von 100.000 EUR nicht unterschreiten sollte. Darüber hinaus begehrt der Kläger zu 2) die Erstattung materieller Schäden (Klageantrag zu 1c)) sowie die Zahlung einer Schmerzensgeldrechte (Klageantrag zu 3). Schließlich begehrt der Kläger zu 2) den Feststellungsausspruch künftiger Einstandspflicht. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Klageforderung wird auf die Klageschrift Bezug genommen (GA I Bl. 3 - 9).

Die Kläger haben beantragt, 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

a. an den Kläger zu 1) 2.800,06 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2006 zu zahlen;

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