Leitsatz (amtlich)
1. Zur hypothetischen Einwilligung von Eltern in die Operation ihres an einer Aortenisthmusstenose leidenden Kindes.
2. Das Selbstbestimmungsrecht auf der einen und das Kindeswohl auf der anderen Seite sind in Fällen gesetzlicher Vertretung des Patienten durch die Eltern zu einem angemessenen Ausgleich zu führen.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 15.03.2005; Aktenzeichen 16 O 481/98) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 15.3.2005 verkündete Urteil des LG Saarbrücken, 16 O 481/98, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist, ebenso wie das angefochtene Urteil des LG Saarbrücken vom 15.3.2005, vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des nach den jeweiligen Urteilen zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche aus einem behaupteten ärztlichen Behandlungsfehler sowie einem Aufklärungsdefizit geltend.
Der am ... Mai 1995 geborene Kläger wurde vom 28.5.1995 bis zum 20.9.1995 stationär in K., deren Träger die Beklagte zu 1. ist, behandelt. Ein in der Kinderkardiologie von der Beklagten zu 4. erhobener echokardiographischer Befund ergab eine präductale Aortenisthmusstenose mit offenem Ductus Botalli. Daraufhin wurde die Indikation zur Resektion der Isthmusstenose und zur End-zu-End-Anastomose sowie zum Verschluss des Ductus arteriosus gestellt und der Kläger in die Abteilung für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie verlegt, deren beamteter Chefarzt der vormalige Beklagte zu 2. war. Vor dem Eingriff fand ein Aufklärungsgespräch zwischen den Eltern des Klägers und der Beklagten zu 4. statt, dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist.
Beim Kläger wurde am 28.5.1995 vom Beklagten zu 3. unter Assistenz des Beklagten zu 2. - der Kläger bestreitet, dass der Beklagte zu 2. ständig anwesend war - ein herzchirurgischer Eingriff vorgenommen. Dieser dauerte von 16.45 Uhr bis um 21.45 Uhr, wobei bereits um 14.30 Uhr mit der Narkose begonnen wurde. In der Zeit von 19.23 Uhr bis 20.15 Uhr war die Aorta des Klägers abgeklemmt. Intraoperativ wurden echokardiographisch nicht diagnostizierte Umstände in Form eines hypoplastischen Aortenbogens und einer stenosierenden, d.h. den Blutstrom zusätzlich behindernden Gewebeleiste vor Abgang beider Subclaviaarterien festgestellt. Postoperativ wurde eine Arteria lusoria festgestellt, die die Operateure während des Eingriffs für eine Kollaterale hielten.
Postoperativ kam es beim Kläger zu einer Querschnittssymptomatik (Paraplegie). Er leidet seitdem unter einer kompletten motorischen Querschnittlähmung unterhalb des 11. Brustwirbels, einer neurogenen Harnblasenfunktionsstörung und Darmlähmung sowie einer kompletten sensiblen Querschnittslähmung unterhalb von T 11.
Der Kläger hat behauptet, die präoperative Diagnostik sei unzureichend gewesen. Es habe vor dem Eingriff eine Gefäßimplantation oder eine Ballondilatation sowie eine über die Echokardiographie hinausgehende Diagnostik mittels Herzkatheter durchgeführt werden müssen. Hierdurch wären die intra- und postoperativ festgestellten weiteren Anomalien bemerkt worden und hätten die Operateure ihr Vorgehen hierauf einrichten können. Eine weiter gehende Diagnostik sei auch deshalb geboten gewesen, da keine Indikation zu einem sofortigen operativen Vorgehen bestanden habe.
Die Operateure hätten den Blutfluss zum Rückenmark mittels Bypass aufrechterhalten oder ggf. eine Herz- Lungenmaschine einsetzen und dem Kläger zudem ein Mittel zur Hemmung der Blutgerinnung (Heparin) verabreichen müssen. Die 52-minütige Abklemmzeit der Aorta des Rückenmarks sei zu lang. Sie liege weit außerhalb des tolerablen Bereichs, zumal im OP-Bericht keine Umstände dokumentiert seien, die diese Zeitüberschreitung nachvollziehbar machten. Die mit der überlangen Abklemmzeit verbundene mangelhafte Durchblutung des Rückenmarks sei für die Querschnittslähmung ursächlich.
Der Beklagte zu 2. habe die schwierige und keinesfalls als Routineeingriff zu wertende Operation selbst durchführen oder zumindest dann intraoperativ übernehmen müssen, nachdem sich gezeigt habe, dass der Beklagte zu 3. für den Eingriff fachlich nicht ausreichend qualifiziert und überfordert sei. In der Gesamtschau betrachtet liege ein schwerwiegender Behandlungsfehler vor.
Zudem fehle es an einer ordnungsgemäßen Aufklärung. Es sei lediglich kurz über die Engstelle am Herz, die entfernt werden müsse, aufgeklärt worden. Sonst seien keine Hinweise erfolgt, insbesondere nicht auf eine mögliche Querschnittslähmung. Die Beklagte zu 4. habe auf dem Eingriffsgebiet nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügt. Es sei auch eine Aufklärung über Behandlungsalternativen, etwa Ballondilatation oder Gefäßimplantation, notwendig gewesen. Den Eltern des Klägers sei auch nicht gesa...