Leitsatz (amtlich)

Zum Nachweis des Integritätsinteresses des bei einem Verkehrsunfall Geschädigten, wenn die voraussichtlichen Reparaturkosten zwischen Wiederbeschaffungswert und Wiederbeschaffungsaufwand liegen und sich der Geschädigte darauf beruft, er habe sein Fahrzeug wegen pandemiebedingter Einnahmeausfälle bereits vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Unfall veräußern müssen.

 

Normenkette

BGB § 429 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 21.07.2021; Aktenzeichen 15 O 61/20)

 

Tenor

1. Die Erstberufung des Klägers gegen das am 21.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (15 O 61/20) wird zurückgewiesen.

2. Auf die Zweitberufung der Beklagten wird das am 21.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (15 O 61/20) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

4. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 01.12.2019 vor dem Anwesen Sulzbachtalstraße 63 in Sulzbach ereignet hat. An dem Unfall beteiligt war der Kläger als Fahrer des Pkw Mercedes Benz C 250, amtliches Kennzeichen NK-xxx, sowie der frühere Beklagte zu 2 als Fahrer und Halter des Pkw, amtliches Kennzeichen SB-xxx, welches im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 1 (im Folgenden: Beklagte) haftpflichtversichert war. Die volle Einstandspflicht der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.

Der Kläger holte ein Haftpflichtgutachten des Sachverständigenbüros W. vom 17.01.2020 (Anlagenband Kläger) ein. Nach dem zur Akte gereichten Gutachten beliefen sich die voraussichtlichen Reparaturkosten für das klägerische Fahrzeug auf 15.763,52 EUR netto. Der Sachverständige stellte zudem eine merkantile Wertminderung von 1.200 EUR fest. Die Gutachterkosten beliefen sich auf 1.859,61 EUR.

Die Beklagte gab nach Übersendung einer ersten Version des Gutachtens, welche noch höhere Reparaturkosten ausgewiesen hatte, ihrerseits ein Gutachten des Sachverständigenbüros E. vom 09.01.2020 (Anlage B1, Anlagenband Beklagte) in Auftrag. Hiernach beliefen sich die Reparaturkosten auf lediglich 13.102,37 EUR netto bei einem Restwert des Fahrzeugs von 18.810 EUR brutto.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 21.01.2020 auf, Reparaturkosten von 15.763,53 EUR, eine Wertminderung von 1.200 EUR, Gutachterkosten von 1.859,61 EUR und eine Auslagenpauschale von 20 EUR, insgesamt 18.843,14 EUR, zu regulieren. Er reparierte sein Fahrzeug in Eigenregie und verkaufte es anschließend noch vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Unfall.

Die Beklagte zahlte die Gutachterkosten unmittelbar an den Sachverständigen und leistete an den Kläger eine Zahlung von 4.072,12 EUR inkl. einer Kostenpauschale von 25 EUR. Gemäß ihrem Abrechnungsschreiben vom 05.02.2020 (Anlagenband Beklagte) legte sie der Regulierung einen Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs von 22.857,14 EUR zugrunde, von dem sie einen Restwert von 18.810 EUR in Abzug brachte.

Mit dem Klageantrag zu 1 hat der Kläger Zahlung eines weiteren Betrags von 12.801,53 EUR, der sich nach seiner Berechnung nach Abzug der geleisteten Zahlungen ergebe, begehrt. Mit dem Klageantrag zu 2 hat er vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.100,51 EUR, die er aus einem Gegenstandswert von 18.863,13 EUR berechnet hat, unter Abzug der gezahlten 571,44 EUR erstattet verlangt. Nachdem die Klageschrift dem Beklagten zu 2 nicht zugestellt werden konnte, nahm der Kläger die Klage gegen diesen am 09.12.2020 zurück (Blatt 28).

Der Kläger hat behauptet, er habe das Fahrzeug am 04.04.2020 selbst zusammen mit einem Bekannten nach Maßgabe des Gutachtens W. fachgerecht repariert und am 22.05.2020 (Blatt 33) bzw. am 20.05.2020 (Blatt 38) an einen Händler aus xxx für 15.200 EUR auf der Grundlage eines mündlich geschlossenen Kaufvertrags weiterveräußert.

Der Kläger hat gemeint, es sei auf Reparaturkostenbasis abzurechnen auf der Grundlage der von dem Sachverständigen W. festgestellten voraussichtlichen Reparaturkosten, weil die nach der Rechtsprechung des BGH maßgebliche Grenze von 130 % nicht überschritten sei. Er hat die insoweit von dem Gutachten W. abweichenden Berechnungen der E. einschließlich der darin enthaltenen Restwertangebote bestritten.

Der Kläger hat die Veräußerung des Fahrzeugs noch vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Unfall damit begründet, dass ihm pandemiebedingt die Einnahmemöglichkeit aus dem von ihm betriebenen Tabakwarengeschäft weggefallen sei. Er hat behauptet, anderenfalls hätte er das Fahrzeug repariert und selbst behalten, und gemeint, er habe sein für die Abrechnung auf Reparaturkostenbasis erforderliches Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck gebracht.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 12.801,53 EUR nebst 5 % Zinspunkte über Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen,

2. an den Kläger 529,07 EUR nebst 5 % Zinspunkte über Basiszinssatz ...

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