Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerrufsbelehrung bei Altverträgen über Verbraucherdarlehen: Verwendung des Begriffs "frühestens" in Bezug auf den Beginn der Widerrufsfrist; Erfordernis der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift; Abweichung von der Musterbelehrung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Belehrung dahingehend, dass die Widerrufsfrist "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginnt, ist unwirksam, da sie nicht den Anforderungen an eine klare und deutliche Belehrung entspricht.

2. Entspricht die Formulierung der Belehrung allerdings der Musterbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV, so kann sich der Verwender bei vollständiger Verwendung auf die in § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV geregelte Gesetzlichkeitsfiktion auch dann berufen, wenn das Muster fehlerhaft ist und den gesetzlichen Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB in der Fassung vom 2. Dezember 2004 an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht genügt.

3. Die Widerrufsbelehrung muss eine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten enthalten, wobei die Angabe einer bloßen Postfachanschrift hierfür nicht ausreicht.(Rn.128)

4. Die Angabe einer Großempfängerpostleitzahl stellt eine ladungsfähige Anschrift i.S.d. § 355 BGB in der Fassung vom 2. Dezember 2004 i.V.m. § 14 BGB-InfoV in der Fassung vom 5. August 2002 dar (Anschluss OLG Frankfurt, 4. August 2014, 19 U 100/14).

5. Weder bei der Ergänzung der Überschrift durch den Zusatz "Nach Muster gemäß § 14 der BGB-Informationspflichten-Verordnung", noch aus einer fehlenden Umrandung der Widerrufsbelehrung handelt es sich um relevante Bearbeitungen der Musterbelehrung.

 

Normenkette

BGB § 355 Abs. 2 S. 1, § 495 Abs. 1; BGB-InfoV § 14 Abs. 1 Anl. 2, Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Entscheidung vom 26.02.2016; Aktenzeichen 1 O 88/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26.02.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (1 O 88/15) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen

II. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags.

I. Die Parteien schlossen im Mai 2007 auf Grund eines Vertragsangebots der vormaligen × Bank AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten über die Filiale S. den im Klageantrag zu 1) näher bezeichneten Verbraucherdarlehensvertrag mit der Nummer ~3 (Az.: ~7) zwecks Erwerbs einer von den Klägern selbst benutzten Immobilie ab (Anlage K 1 - Bl. 16 d. A.).

Danach verpflichtete sich die Beklagte, den Klägern einen Betrag in Höhe von 180.000,- EUR zur Verfügung zu stellen. Die Kläger verpflichteten sich, diesen zurückzuzahlen, wobei ein Sollzinssatz von 4,950 % p. a. bis zum 30.05.2017 festgeschrieben wurde.

Die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten den Klägern zusammen mit dem Vertragsangebot ausgehändigte Widerrufsbelehrung (Bl. 20 d. A.) lautete auszugsweise wie folgt:

"Widerrufsbelehrung

Nach Muster gemäß § 14 der BGB-Informationspflichten-Verordnung

Widerrufsrecht

Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.

Der Widerruf ist zu richten an:

x Bank AG in -Ort-

B.C./K.S.

K-S-C -Ort-

70 140 -Ort-

Telefax: (xxx

E.Mail: Widerruf. -Ort-@x-Bank.com

Widerrufsfolgen

Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzungen (z. B. Zinsen) herauszugeben. Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit ggf. Wertersatz leisten ...."

Mit Einwurf-Einschreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 09.03.2015 (Anlage K 3 - Bl. 36 d. A.) erklärten die Kläger den Widerruf des streitgegenständlichen Darlehensvertrags, um das Darlehen ohne Entrichtung einer Vorfälligkeitsentschädigung abzulösen.

II. Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Widerrufsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß, so dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe.

Auf das amtliche Muster der Widerrufsbelehrung könne sich die Beklagte nicht berufen, da die Belehrung der Beklagten von diesem abweiche. Das Muster habe die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift vorgesehen. Demgegenüber habe die × Bank AG eine Postfachanschrift angegeben. Auch fehle es an der Umrahmung der Belehrung. Schließlich weiche die Widerrufsbelehrung schon in ihrer Überschrift inhaltlich von der Musterbelehrung ab.

Die Kläger haben beantragt,

1. festzustellen, dass sich der zwischen den Par...

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