Leitsatz (amtlich)
1. Füllt ein Versicherungsnehmer nach Aufnahme eines seine gesundheitlichen Leiden nicht verzeichnenden Antrags auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung noch ein neues, von ihm angefordertes Formular allein aus, so hat er seine Anzeigeobliegenheit bei dieser Antragstellung eigenständig zu erfüllen; mit früheren Angaben ggü. dem Agenten hat er sie nicht erfüllt.
2. Die telefonische Anfrage eines Versicherungsinteressenten beim Versicherer, ob ein bestimmtes Leiden in einem Antrag anzugeben sei, ist dem Versicherer nicht als Vorkenntnis zuzusprechen, wenn dem Versicherungsnehmer ein neues Antragsformular übersandt worden ist.
3. Der Versicherungsnehmer handelt nicht schuldhaft, wenn er aufgrund von Angaben des Agenten vor Ausfüllung des maßgeblichen Antrags über den Umfang dieser Anzeigeobliegenheit nachvollziehbar irregeführt worden ist.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 09.02.2006; Aktenzeichen 12 O 450/04) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 9.2.2006 verkündete Urteil des LG Saarbrücken - 12 O 450/04 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 58.750 EUR festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einem unter dem 28.11.2003 vereinbarten Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag.
Mit Antrag vom 19.9.2003 begehrte der Kläger von der Beklagten den Abschluss eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages. Der Antrag wurde von dem Versicherungsagenten der Beklagten, dem Zeugen A. aufgenommen. Die den Kläger betreffenden Gesundheitsfragen sind in dem Antragsformular mit "Nein" beantwortet. Auf ein anschließend erfolgtes Telefonat mit einem Mitarbeiter der Beklagten wegen der Gesundheitsfragen schickte dieser dem Kläger ein neues Antragsformular zu, das der Kläger selbst unter dem 30.9.2003 ausfüllte. Die Frage, " Bestehen oder bestanden in den letzten 10 Jahren Krankheiten, Unfallfolgen, körperliche oder geistige Schäden, Gesundheitsstörungen oder sonstige Beschwerden?", beantwortete der Kläger mit "ja, ca. 1991, Hüftfehlstellung, Dr. V., Orthopädie-2001/2002 zeitweise Rückenschmerzen, Dr. H., Orthopädie". Die Frage, "Haben sie sich in den letzten 5 Jahren bei Ärzten und/oder Heilkundigen Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen unterzogen bzw. sind solche vorgesehen oder angeraten?" beantwortete der Kläger mit " ja, ca. 1997, OP, Ganglion rechte Hand, Dr. M. N.". Unter dem 17.11.2003 vereinbarten die Parteien, dass Erkrankungen und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und Folgen und/oder Minderbelastbarkeiten sowie alle Bewegungsstörungen und Schmerzsymptome hervorgerufen durch Beckenschiefstand eine Dienstunfähigkeits- oder Berufsunfähigkeitsleistungen nicht bedingen und bei der Feststellung der Dienstunfähigkeit bzw. des Grads der Berufsunfähigkeit unberücksichtigt bleiben.
Der Kläger wurde wegen dauernder gesundheitlicher Dienstunfähigkeit aufgrund einer progredienten depressiven Entwicklung und eines Tinnitus zum 30.6.2004 in den Ruhestand versetzt.
Im Rahmen der Leistungsprüfung teilte der Dipl. Psychologe Ec der Beklagten mit, dass sich der Kläger vom 21.9.2001 bis 9.9.2002 wegen Angststörungen in Behandlung befunden habe. Weitere Informationen über Behandlungen des Klägers in der Zeit vom 1.9.1998 bis 19.9.2003 erhielt die Beklagte aus den von dem Allgemeinmediziner I. vorgelegten Unterlagen. Aus dem von Dr. Ka. vorgelegten Arztbericht ergab sich, dass der Kläger dort am 22.12.1997 wegen eines Cervikal-Schulter-Armsyndrom links, Cervicocephalgie in Behandlung war.
Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 29.9.2004 ihren endgültigen Rücktritt vom Vertrag.
Der Kläger hat eine Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit bestritten und behauptet, dem Zeugen A. bei Antragsaufnahme alle seine bis dahin aufgetreten Beschwerden und Krankheiten geschildert zu haben. Der Zeuge habe dennoch bei allen Gesundheitsfragen das "Nein" angekreuzt. Da ihm das Verhalten des Zeugen A. suspekt vorgekommen sei, habe er bei der Beklagten angerufen. Dabei habe ihm der Zeuge Pr. erklärt, eine psychische Behandlung falle nicht unter eine geistige Störung oder Verwirrung und ihn lediglich aufgefordert, die Rückenbeschwerden und den Beckenschiefstand anzugeben. Die Dienstunfähigkeit beruhe auch nicht auf der vormaligen psychischen Erkrankung des Klägers.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 1.7.2004 eine monatliche im Voraus zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 1.250 EUR bis längstens zum 30.11.2024 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das LG hat der Klage stattgegeben und dem Kläger die geltend gemachte Berufsunfähigkeitsrente zuges...