Leitsatz (amtlich)
Zu den Indizien der Beweiswürdigung in Fällen eines Streits um den Ablauf der Aufnahme eines Versicherungsvertrages.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 09.01.2006; Aktenzeichen 12 O 42/05) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Saarbrücken vom 9.1.2006 - 12 O 42/06 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 51.000 EUR festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger beantragte am 5.11.2003 - ebenso wie viele andere Mitarbeiter der Deutschen Post im Saarland - bei der Beklagten über deren Vertreter, den Zeugen A., den Abschluss eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages. Hintergrund war eine Vereinbarung der Gewerkschaft ver. di mit der Beklagten, nach der ihr angehörenden Versicherungsinteressenten günstige Beiträge versprochen wurden. Unter den Bediensteten der Post wurde damals ein Personalabbau diskutiert.
Das Vertragsangebot enthielt eine - strenge - Dienstunfähigkeitsklausel ("Zusatzvereinbarung für das Dienstunfähigkeitsrisiko", Bl. 25), nach der die Beklagte Leistungen auch für den Fall zusagte, dass der versicherte Beamte auf Lebenszeit ausschließlich wegen medizinisch festgestellter allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden würde.
Die Beklagte policierte den Vertrag am 1.12.2003. Er sah für den Versicherungsfall eine monatliche bis 30.11.2024 zu zahlende Rente vor. Der Kläger, ein Postbetriebsassistent, wurde durch Bescheid vom 9.5.2004 (Bl. 34) wegen postärztlich festgestellter allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt und bezieht seither beamtenrechtliche Versorgungsbezüge.
In dem von dem Zeugen A. ausgefüllten und durch den Kläger unterzeichneten Antragsformular sind die Fragen nach Krankheiten, gesundheitlichen Störungen und sonstigen Beschwerden in den letzten 10 Jahren und nach heilkundlichen Behandlungen in den letzten 5 Jahren verneint. In Wirklichkeit hatte der Kläger 1996 einen Bandscheibenvorfall erlitten, der in den folgenden Jahren zu gelegentlich auftretenden Beschwerden führte, befand sich in den Jahren 1998 bis 2003 in Abständen von einem bis weit überwiegend mehreren Monaten (insgesamt zwölfmal) wegen Ischialgien, einem Zervikal- und einem LWS-Syndrom in hausärztlicher Behandlung, war wegen Herzrhythmusstörungen - ohne dass ein koronarer Befund festgestellt worden wäre - untersucht worden und hatte 2003 fünf Wochen lang an einem Tinnitus gelitten. Eine Blutuntersuchung hatte einen auffallenden ASL-Wert erbracht. In den Jahren 1998 bis 2003 war er mehrfach wenige Tage bis zu in zwei Fällen zwei Wochen arbeitsunfähig geschrieben.
Der Kläger hat behauptet, der Zeuge A. habe ihm die Fragen des Antragsformulars nicht vorgelesen, er habe lediglich nach Krankheiten in den letzten fünf Jahren gefragt; daraufhin habe er, der Kläger, dem Zeugen A. alle seine Beschwerden genannt; der Zeuge A. habe erwidert, es seien Allerweltsbeschwerden, man brauche sie nicht aufzunehmen. Die Beklagte hat das bestritten.
Das LG hat die Beklagte durch Urt. v. 9.1.2006 - 12 O 42/05 - antragsgemäß verurteilt, an den Kläger ab Juni 2004 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 1000 EUR längstens bis 30.11.2024 monatlich im Voraus zu zahlen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung.
II. Die Berufung ist nicht begründet
1. Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass der Kläger seine Obliegenheit, gefahrerhebliche Umstände anzuzeigen, verletzt hat.
Allerdings hat der Kläger die Beklagte durch die Unterzeichnung des Antragsformulars, das die "Gesundheitsfragen" verneinte, nicht vollständig unterrichtet. Damit steht indessen nicht fest, dass der Kläger, wie es ihm nach § 16 Abs. 1 VVG obliegt, ihm bekannte gesundheitliche Beeinträchtigungen verschwiegen hat.
a) Ob der normabweichende Blutwert ASL (Antistreptolysine), der ein Indikator für mögliche Infektionen ist, überhaupt auf die gestellte Frage nach "Krankheiten in den letzten fünf Jahren" - die Stellung weiterer Fragen hat die Beklagte nicht bewiesen - zu erwähnen gewesen wäre, kann dahinstehen. Dass der Kläger ihn kannte und ihn als gesundheitliche Beeinträchtigung bewertete, ist bestritten und nicht bewiesen.
b) Die weiteren unzulänglichen Informationen des Antragsformulars - dort finden sich keine Angabe der fortdauernden gelegentlichen Wirbelsäulenbeschwerden aufgrund des 1996 erlittenen Bandscheibenvorfalls, keine Hinweise auf untersuchte Herzrhythmusstörungen, keine Erklärungen zu einem Tinnitus und dort werden keine Arbeitsunfähigkeitszeiten und ärztlichen Konsultationen erwähnt - schaden dem Kläger indessen nicht. Denn die Beklagte hat nicht, wie ihr obliegt, bewiesen, dass der Kläger sie auch ihrem Agenten, dem Zeu...