rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollständiger Erlass von Säumniszuschlägen bei rechtswidrigem Bescheid und abgelehnter Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (redaktionell)
Säumniszuschläge sind vollständig zu erlassen, wenn weder das FA noch das FG dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattgegeben hat, obwohl ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der – rechtswidrigen und vom FG im Wesentlichen aufgehobenen – Steuerbescheide gem. § 361 Abs. 2 S. 2 AO bzw. § 69 Abs. 2 S. 2 FGO bestanden haben und deshalb Aussetzung der Vollziehung hätte gewährt werden müssen.
Normenkette
AO §§ 227, 240 Abs. 1 S. 4, § 361 Abs. 2 S. 2, § 5; FGO § 69 Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, die nach den Bescheiden zur Umsatzsteuer 2002 und 2003 vom 06.02.2008 angefallenen Säumniszuschläge vollständig zu erlassen.
2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen zur Umsatzsteuer 2002 und 2003.
Die Klägerin wurde zum 1.11.2001 gegründet und zum 30.11.2003 aufgelöst. In dieser Zeit handelte sie mit polygrafischen Maschinen und Erzeugnissen.
Der Rechtsvorgänger des Beklagten erließ am 12.10.2005 für 2002 und 2003 Umsatzsteuerbescheide, gegen die die Klägerin Einspruch einlegte. Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide wurde vom Sächsischen Finanzgericht gewährt (8 V 2114/05).
Die Einsprüche führten am 6.2.2008 zu einer ermäßigten Umsatzsteuer für das Jahr 2002 in Höhe von 47.954,57 Euro, im Übrigen blieben die Einsprüche erfolglos, so dass die Umsatzsteuer für das Jahr 2003 in Höhe von 48.397,76 Euro festgesetzt blieb. Die Klage hiergegen war erfolgreich. Das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts v. 16.11.2010 (8 K 438/08) änderte die Umsatzsteuer 2002 auf den unstreitigen und pünktlich bezahlten Betrag in Höhe von 10.664,60 Euro, für das Jahr 2003 ergab sich keine Umsatzsteuer.
Die Klägerin hat am 7.3.2008 mit Einreichung der Klageschrift beim Sächsischen Finanzgericht einen (unzulässigen) Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide v. 6.2.2008 gestellt (8 V 454/08), diesen Antrag jedoch mit Schriftsatz v. 5.2.2009 zurückgenommen. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zum Finanzamt wurde dort am 10.6.2008 zurückgewiesen. Der danach zum Sächsischen Finanzgericht eingereichte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde, insoweit er sich auf die Umsatzsteuer 2002 und 2003 bezog, mit Beschluss v. 28.4.2010 zurückgewiesen (8 V 180/09).
Nach (inzwischen überholter Auffassung) des Beklagten sind ausweislich einer Abrechnung auf der Grundlage der Bescheide v. 6.2.2008 von März 2008 bis Januar 2011 (35 Monate) Säumniszuschläge angefallen, und zwar 11.476 Euro zur Umsatzsteuer 2002 und 16.922,50 Euro zur Umsatzsteuer 2003. Jener Abrechnung zufolge wurden auf einen Antrag der Klägerin v. 11.3.2012 hin 5.738 Euro (2002) und 8.461,25 Euro (2003) erlassen. Da die Klägerin vollständigen Erlass der Säumniszuschläge erreichen will, legte sie gegen die dieses Begehren ablehnende Entscheidung des Beklagten v. 21.3.2012 am 18.4.2012 Einspruch ein. Am 9.7.2012 gewährte der Beklagte einen weiteren Erlass in Höhe von 1.169,76 Euro (2003). Im Übrigen entschied der Beklagte über den Einspruch der Klägerin zunächst nicht. Die Klägerin erhob am 20.10.2012 Untätigkeitsklage. Mit Einspruchsentscheidung v. 26.11.2012 gewährte der Beklagte weiteren Erlass von 307 Euro (2002) und 483,50 Euro (2003), wies aber im Übrigen den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Die Klägerin meint, einen Anspruch auf vollständigen Erlass der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2002 und 2003 zu haben. Wie das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts v. 16.11.2010 zeige, seien die Umsatzsteuerfestsetzungen 2002 und 2003 rechtswidrig gewesen. Die Klägerin habe sich um Aussetzung der Vollziehung der rechtswidrigen Bescheide bemüht und entsprechende Anträge gestellt, sei aber abgewiesen worden. Dieser Vorgang müsse nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zum vollständigen Erlass entstandener Säumniszuschläge führen, ohne dass dem Finanzamt ein Ermessenspielraum bliebe.
Die Klägerin beantragt, die Säumniszuschläge für die Umsatzsteuer 2002 und 2003 zu erlassen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, der gegenständliche Sachverhalt sei anders als die Fälle gelagert, in denen die Rechtsprechung einen vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen erwogen hat.
Auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten des Beklagten wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Ablehnung des vollständigen Erlasses der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2002 und 2003 durch den Beklagten ist rechtswidrig und v...