Entscheidungsstichwort (Thema)

Angelegenheiten aus dem BetrVG. Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen. Freistellung. Schulungsveranstaltung. Beschlussverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Der Streit zwischen einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Schwerbehindertenvertretung und dem Arbeitgeber über die Freistellung von der beruflichen Tätigkeit zum Zwecke der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren auszutragen (im Anschluss an LAG Nürnberg vom 22.10.2007 – 6 Ta 155/07 –).

 

Orientierungssatz

Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Schwerbehindertenvertretung/Freistellung von beruflicher Tätigkeit zum Zwecke der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen (Erforderlichkeit der Teilnahme)/zulässige Verfahrensart (hier bejaht: Beschlussverfahren)/Vorabentscheidung (hier: im ersten Rechtszug übergangen)

 

Normenkette

ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 2, § 9 Abs. 5 S. 4, § 48 Abs. 1, §§ 65, 80 Abs. 3, § 83 Abs. 1 S. 1, § 88; ZPO §§ 148, 282; GVG § 17a Abs. 2, 3 S. 2, Abs. 4 S. 3; SGB IX § 96 Abs. 4 S. 3

 

Tenor

1. Das Beschlussverfahren ist die zulässige Verfahrensart.

2. Das Verfahren wird bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die zulässige Verfahrensart ausgesetzt.

3. Für die Beteiligte zu 2./Beschwerdegegnerin ist gegen die Entscheidung zu 1. die Rechtsbeschwerde zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten in dem Beschwerdeverfahren unter partieller Antragsänderung unverändert darüber, ob die Beteiligte zu 1. zum Zweck der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen ist. Auf Hilfsantrag geht es nunmehr zusätzlich um die Feststellung der Erforderlichkeit der Teilnahme an einer derartigen Schulungsveranstaltung.

Die Beteiligten verbindet ein Arbeitsverhältnis, in dessen Rahmen die Beteiligte zu 1. als Redakteurin tätig ist.

Die Beteiligte zu 1. ist Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Schwerbehindertenvertretung (fortan: Vertrauensperson) des Betriebes der Beteiligten zu 2. (künftig: Arbeitgeberin).

Die Vertrauensperson erstrebt die Befreiung von ihrer beruflichen Tätigkeit für die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung bzw. jetzt auch die Feststellung der Erforderlichkeit einer derartigen Teilnahme.

Das von der Vertrauensperson angegangene Arbeitsgericht Chemnitz hat sie mit ihren erstinstanzlichen im Beschlussverfahren verfolgten Anträgen im Beschlussverfahren mit Beschluss vom 23.09.2009 zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat trotz Rüge der Arbeitgeberin über die Zulässigkeit der Verfahrensart nicht vorab durch Beschluss entschieden.

Die Vertrauensperson hat gegen den ihr am 08.01.2010 zugestellten instanzbeendenden Beschluss vom 23.09.2009 Beschwerde eingelegt und am 08.03.2010 ausgeführt.

Die Arbeitgeberin wiederholt die Rüge im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bei dem Landesarbeitsgericht.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Entscheidet ein Arbeitsgericht entgegen § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG trotz Rüge einer Partei über die Zulässigkeit des Rechtswegs nichtvorab durch Beschluss, sondern in den Gründen des der Klage stattgebenden Urteils, so kann die beklagte Partei hiergegen wahlweise sofortige Beschwerde oder Berufung einlegen (BAG vom 26.03.1992 – 2 AZR 443/91 – EzA § 48 ArbGG 1979 Nr. 5).

Wird Berufung eingelegt, so darf das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit nicht an das Arbeitsgericht zurückverweisen; § 65 ArbGG steht in diesem Fall einer eigenen Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs nicht entgegen (BAG vom 26.03.1992 a. a. O.).

Bejaht das Landesarbeitsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs, hat es dies vorab durch Beschluss auszusprechen (BAG vom 28.03.1992 a. a. O.).

Für eine vom Arbeitsgericht übergangene Rüge der Zulässigkeit der Verfahrensart – wie hier – gilt nichts anderes, wenn das Arbeitsgericht bei der instanzbeendenden Entscheidung jedenfalls der Sache nach von der Zulässigkeit der Verfahrensart (hier des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens) ausgegangen sein muss. Denn nach § 48 Abs. 1 ArbGG gilt u. a. § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG (mit hier nicht interessierenden Maßgaben) insoweit entsprechend.

Zwar findet wiederum § 48 Abs. 1 ArbGG entsprechende Anwendung nur aufgrund der Regelung in § 80 Abs. 3 ArbGG über das Beschlussverfahren im ersten Rechtszug, und es wird auf die Vorschrift nicht in den Bestimmungen über das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren im zweiten Rechtszug verwiesen. Auch wird in jenen Bestimmungen nicht ausdrücklich § 80 Abs. 3 ArbGG für anwendbar erklärt. Entsprechende Anwendung findet nach § 88 ArbGG allerdings § 65 ArbGG betreffend die Beschränkung der Berufung, welche Beschränkung nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber einer eigenständigen Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs – und nach dem Wortlaut der Bestimmung auch der Verfahrensart – nicht entgegensteht.

Dies streitet für die Nachholbarkeit der Vorabentscheidung bei übergangener Rüge (hier: der Rüge der Zulässigkeit der Verfahrensart) au...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?