Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmtheitsgebot in Beschlussverfahren zu Mitbestimmungsfragen. Technische Einrichtungen mit Überwachungsmöglichkeit i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Keine technische Überwachung durch Headset-Nutzung zur innerbetrieblichen Kommunikation. Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gem. § 50 BetrVG. Grundsatz der Zuständigkeitstrennung im BetrVG
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Headset, welches nur der innerbetrieblichen Kommunikation dienst, stellt keine technische Überwachungseinrichtung i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar.
2. Bei unternehmensweiter Einführung ist die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates gegeben.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Streit über bestehende Mitbestimmungsrechte muss der Betriebsrat diejenige Maßnahme des Arbeitgebers, für die er ein Mitbestimmungsrecht beansprucht, so genau bezeichnen, dass mit der Entscheidung über den Antrag feststeht, für welche Maßnahmen das Mitbestimmungsrecht bejaht oder verneint worden ist.
2. Zur Überwachung "bestimmt" i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an.
3. Eine Leistungskontrolle ist durch die Sprachübertragung per Headset objektiv nicht durchführbar. Objektive Leistungsdaten der Arbeitnehmer werden durch die Teilnahme der Arbeitnehmer an der betrieblichen Kommunikation nicht gewonnen. Es werden keine relevanten Leistungs- oder Verhaltensdaten erhoben.
4. Der Gesamtbetriebsrat ist nicht nur für solche Angelegenheiten zuständig, deren Regelung den einzelnen Betriebsräten objektiv unmöglich ist; vielmehr genügt es, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht, wobei auf die Verhältnisse des Unternehmens und seiner Betriebe abzustellen ist. Die bloße Zweckmäßigkeit einer einheitlichen Regelung reicht aber nicht aus.
5. Nach dem Grundsatz der Zuständigkeitstrennung obliegt die Regelung einer Angelegenheit entweder ausschließlich den einzelnen Betriebsräten, dem Gesamtbetriebsrat oder dem Konzernbetriebsrat. Diese gesetzliche Kompetenzverteilung ist zwingend und unabdingbar. Ist der Gesamtbetriebsrat zuständig, muss er die gesamte Angelegenheit mit dem Arbeitgeber regeln.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6, § 50 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Dresden (Entscheidung vom 09.12.2021; Aktenzeichen 5 BV 29/21) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 09.12.2021 -5 BV 29/21- wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten zweitinstanzlich weiterhin über die Mitbestimmungspflichtigkeit der Anordnung zum Tragen von Headsets während der Arbeit.
Die Beteiligte zu 2 ist ein international tätiges Bekleidungsunternehmen. Die Firmen zentrale befindet sich in Dublin. In Deutschland unterhält die Beteiligte zu 2 zahlreiche Betriebe, unter anderem am Standort .... Der Beteiligte zu 1 ist der örtliche Betriebsrat am Standort .... Bei der Beklagten zu 2 besteht ein Gesamtbetriebsrat.
Die Beteiligte zu 2 beabsichtigte unternehmensweit die Ablösung der bislang verwendeten Walki Talki’s durch Headsets. Die verwendete Software für die Headsets der Firma ... wird über die zentrale IT-Abteilung der Beteiligten zu 2 in Dublin betreut.
Die Betreuung und Überprüfung erfolgt über das sog. ...-Portal. Bei Einsatz der Geräte werden Headset - Registrierungsdaten (ID, IPEI, Bezeichnung des Geräts und Zeitpunkt der Verbindung) zur IT-Abteilung in Dublin übertragen. Weiterhin werden die Betriebsdaten der Headsets, die DECT- Verbindungen mit der Basisstation im Store und generelle Systeminformationen weitergegeben. Im Help-Desk der IT-Abteilung der Beteiligten zu 2 in Dublin kann auch die zuletzt ausgeführte Aktion aus der Gerätekonfigurationsseite der Headsets ausgelesen werden. Die gespeicherten Daten werden an den Konzernsitz in Dublin übermittelt.
Am Standort ... besteht keine eigene IT-Abteilung der Beteiligten zu 2.
Mit dem Gesamtbetriebsrat bei der Beteiligten zu 2 wurde eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung von IKT-Systemen, Datenschutz und Informationssicherheit am 11.09.2018 abgeschlossen (Anl. A1, Bl. 13-22 d.A.). Gegenstand der Gesamtbetriebsvereinbarung ist die Einführung, Anwendung und Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Bei der Gesamtbetriebsvereinbarung handelt es sich um eine Rahmenvereinbarung. Die einzelnen mitbestimmungspflichtigen IKT-Systeme werden zu der Gesamtbetriebsvereinbarung als Anlage, sog.Systemabsprachen,genommen, § 2 Abs. 1 GBV.
Mit der Anl. A3 (Bl. 35-36 d.A.) hat der Gesamtbetriebsrat mit der Beteiligten zu 2 eine solche Systemabsprache zum Einsatz von Headsets (Software) am 27.01.2021 abgeschlossen. Unter Ziff. 3 dieser Systemabsprache ist es festgelegt, dass...